Gemeinsamer Bericht über den 17. Transport von Dave, Michael und Annette
An einem regnerischen Abend im Zentrum von Kyjiw hielt eine Fahrzeugkolonne an und füllte eine Reihe leerer Parkplätze in einer verlassenen Straße. Die Kolonne bestand aus einer Mischung von Pickups, SUVs und Transportern. Der 17. Transport von Pickup4Ukraine war angekommen. Am nächsten Morgen wurden die medizinischen Hilfsgüter entladen und verteilt, und die meisten Fahrzeuge wurden entweder an die empfangenden Brigaden oder an eine Werkstatt übergeben, die sie zu Evakuierungsfahrzeugen umbaut. Diese Übergaben waren der Höhepunkt von drei Monaten Arbeit. Aber beginnen wir dort, wo dieser Konvoi seinen Anfang nahm:
Vorbereitungen
Der 17. Transport begann wie die vorherigen mit einer „Wunschliste“. Die Streitkräfte der Ukraine (AFU) verfügen wie die meisten Militärs weltweit über Beschaffungslisten für benötigte Ausrüstung, darunter auch eine Zuteilung von nicht gepanzerten Fahrzeugen. Die wichtigsten Ausrüstungsgegenstände werden entweder von Partnerregierungen bereitgestellt oder im eigenen Land hergestellt. Die meisten ungepanzerten Fahrzeuge, die die Ukrainischen Streitkräfte erhalten, stammen jedoch aus privaten Spenden. Wenn eine Einheit solch ein Fahrzeug braucht, ist es typischerweise dringend, und sie wendet sich an eine ukrainische Organisation wie Lawyers’ Move und bittet um Hilfe bei der Suche nach einem bestimmten Fahrzeug. Einige Einheiten wenden sich auch direkt an uns, Pickup4Ukraine, entweder weil sie jemanden kennen, der uns kennt, oder weil sie von uns gehört oder unsere Website gefunden haben. Die Freiwilligen von Lawyers’ Move helfen der Einheit dann bei der Erledigung der erforderlichen Formalitäten. Nachdem Pickup4Ukraine die finanzielle Situation analysiert und die Anfragen geprüft hat, können wir dann entsprechend den Anforderungen der Einheit „einkaufen“ gehen und nach einem entsprechenden Fahrzeug auf dem Gebrauchtmarkt suchen.
Pickup4Ukraine begann die Vorbereitungen mit leeren Spendenkassen und einer langen Wunschliste für Fahrzeuge. Die erste Aufgabe bestand darin, Spenden zu sammeln. Ein Großteil der Finanzierung kam von den vielen einzelnen Spendern, die Pickup4Ukraine unterstützen. Fahrzeug wurde direkt von Lawyers’ Move finanziert. Ein weiterer signifikanter Teil stammte aus Spendengeldern von 1019.ch, einer Schweizer Hilfsorganisation, mit der wir seit dem Frühjahr zusammenarbeiten. Diese Gelder waren speziell für Fahrzeuge zur Evakuierung von Verwundeten (Casevac) und für eine zivile Organisation bestimmt. Die Beschaffung in Deutschland ist zweckmäßig, weil man hier für einen Schweizer Franken mehr Material bekommt. Schließlich leisteten auch große Spenden aus dem Netzwerk des Lions Club Ingelheim einen bedeutenden Beitrag. Wir haben uns alle zusammengetan, um den 17. Transport zu ermöglichen.
Michael und Annette begannen, die Wunschliste durchzugehen. Wir suchten auch nach drei Fahrzeugen, um die Wünsche der Empfänger zu erfüllen, die 1019.ch geäußert hatte. Jedes Fahrzeug hatte bestimmte Spezifikationen: immer Allradantrieb, immer Diesel und in der Regel eine bestimmte Marke und ein bestimmtes Modell. Dies dient der Logistik in der Einheit in der Ukraine. Wenn sie bereits Ford Rangers, Mitsubishi L200, Nissans oder VW T5-Transporter in ihrem Fuhrpark haben, wünschen sie oft weitere Fahrzeuge desselben Typs, weil sie sie selbst reparieren und damit schon Erfahrung haben. Manchmal wird ein Fahrzeuge auch für eine ganz spezifische Aufgabe benötigt, und wir suchen dann ein Fahrzeug nach noch spezielleren Kriterien. Wir begannen, die verschiedenen Apps für den Gebrauchtwagenmarkt zu durchforsten.
Sobald vielversprechende Fahrzeuge gefunden sind, müssen wir sie uns persönlich ansehen und probefahren, um ihren Zustand zu beurteilen. In dieser Runde erhielten wir wertvolle Unterstützung von mehreren Personen, die sich die Zeit nahmen, viele hundert Kilometer zu fahren, um sich Gebrauchtwagen anzusehen: Oliver Kolb, Fabian Fuhrmann, Markus Schneider und Markus Wochner arbeiteten alle mit Annette und Michael zusammen, um die Fahrzeuge zu finden, zu kaufen und abzuholen, die wir schließlich in die Ukraine gebracht haben. Besondere Erwähnung verdient Roman. Als professioneller Mechaniker inspizierte er mehrere Fahrzeuge vor dem Kauf und identifizierte Probleme, die zu Preisnachlässen führten, sodass wir mehr Fahrzeuge kaufen konnten, als ursprünglich geschätzt. Er und sein Kollege Pavlo transportierten die Fahrzeuge zu ihrer Werkstatt, um sie nochmal gründlich zu inspizieren und ggf. zu reparieren. Sie arbeiteten kostenlos (oft bis spät in die Nacht), besorgten günstige Ersatzteile und stellten sicher, dass alle 11 Fahrzeuge fahrtauglich waren.
In den Wochen vor der Abreise haben wir alle Fahrzeuge versichert und für den EU-Export angemeldet. Lawyers’ Move half uns bei der Bearbeitung der Unterlagen, die für die Durchfuhr durch den ukrainischen Zoll erforderlich waren.
Es wurden nicht nur Fahrzeuge transportiert. Pickup4Ukraine hat eine weitere Partnerorganisation in der Ukraine, „Ukraine’s Frontline Hospitals“. Diese koordiniert mit mehreren Krankenhäusern im Osten und Süden der Ukraine die Beschaffung benötigter Ausrüstung und Hilfsgüter. Kati und Rainer Siebold arbeiteten mit Annette zusammen, um Hilfsgüter aus Krankenhäusern hier in der Region zu beschaffen, und wir erhielten auch einige private Spenden wie Krücken oder Pflegeheimbedarf sowie Einweghandschuhe im Wert von 500 Euro, gesponsert von der lokalen Flüchtlingshilfsorganisation BIA in St. Leon-Rot. Der Verladungstag war etwa eine Woche vor dem Starttag. Mehrere ukrainische Geflüchtete in der Region Heidelberg, darunter vor allem Frauen, die zu Beginn der Vollinvasion gekommen waren, hatten sog. Heizkerzen aus Wellpappe, Wachsresten und leeren Tierfutterdosen hergestellt, die an die Soldaten der Einheiten verteilt werden sollten, die die Fahrzeuge erhalten würden. Am Tag der Verladung trafen wir uns mit ihnen, um mehrere hundert fertige Kerzen zusammen mit den verpackten und katalogisierten Hilfsgütern in die Fahrzeuge zu laden.
Die Fahrzeuge wurden an die Fahrer verteilt, alle überprüften noch einmal, ob ihr Fahrzeug startklar war, und Michael stellte die notwendigen Informationen für Zollerklärungen zusammen. Wir waren bereit!
Die Fahrt, ab Donnerstag, den 9. Oktober 2025
Wir standen alle vor 4 Uhr morgens auf, machten uns fertig und überprüften noch einmal unsere Packliste. Zusätzlich zu den üblichen Reiseutensilien mussten wir an unsere Pässe, Schlafsäcke und Isomatten denken. Wir würden in Hotels übernachten, aber bei früheren Transporten hatten wir gelegentlich auch schon in Luftschutzbunkern oder Unterführungen Schutz gesucht, wenn es nachts Luftalarm gab. Vielleicht würden wir in unseren Hotelbetten ruhig schlafen können, und vielleicht würde Herr Putin alles, was er gerade vorrätig hat, nach Kyjiw schicken. Lieber auf diesen Worst Case vorbereitet sein! Der letzte Punkt auf der Packliste war ein Erste-Hilfe-Set, komplett mit QuickClot und einem Tourniquet. Wir sind keine Adrenalinjunkies und gehen kalkulierte Risiken ein. Dennoch bestehen andere Risiken als zu Hause, und deshalb haben wir diese speziellen Erste-Hilfe-Sets immer dabei. Mein letzter Punkt auf der Checkliste war, sicherzustellen, dass ich meine Abwesenheitsnotiz aktiviert hatte. Dann ging es los zum Treffpunkt.
In der Dunkelheit vor Sonnenaufgang fuhren die Fahrzeuge vor und die Fahrer versammelten sich. Jedes Fahrzeug hat am ersten Tag zwei Fahrer. Wir müssen am ersten Tag 1300 km zurücklegen und wollen nicht viel Zeit verlieren, also wechseln wir uns an unseren festgelegten Haltepunkten ab. So kamen wir auf insgesamt 23 Fahrer. Acht der Fahrzeuge befanden sich am Startpunkt hier in der Region, und da die anderen Fahrer aus weiter nördlich gelegenen Orten kamen, trafen wir sie an den Haltestellen entlang der Strecke. Als sich die Fahrer versammelten, waren einige alte Hasen, einige bekannte Gesichter und viele neue dabei. Einige der neuen Gesichter, Martin Fussen, Franziska Schmid-Wehrle und Niklas Liechti, kamen von 1019.ch aus der Schweiz. Christian von der Lühe und Thorsten Winternheimer vertraten den sehr großzügigen Lions Club Ingelheim. Sie kamen mit um zu helfen und um auch selbst zu erleben, wohin ihre Spenden gingen. Und zu guter Letzt schlossen sich uns noch ein weiterer SAP-Kollege, Fabian, mit seinem Sohn Malte, sowie Sabine Fischer, eine deutsche Politikwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Osteuropa, direkt hinter der deutsch-polnischen Grenze an.
Nicht alle von früheren Fahrten bekannten Gesichter waren anwesend. Einige der Hauptstützen von Pickup4Ukraine fehlten. Nicht jeder Helfer kann bei jeder Fahrt teilnehmen. Wir tun dies in unserer Freizeit, und manchmal halten berufliche Verpflichtungen, fehlender Urlaub usw. die Fahrer zu Hause. Nils, Malte, Daniela und Andreas mussten diesmal zu Hause bleiben.
Die Fahrer holten sich einen letzte Becher Kaffee, stellten sicher, dass ihre Fahrzeuge mit Cola oder ihrem Lieblings-Energy-Drink ausgestattet waren, und dann versammelten wir uns zur letzten Besprechung vor der Fahrt. Bei der Gelegenheit machten wir ein Foto mit einer großen festlichen Zahl „70“ auf einem Karton, denn dieser Konvoi würde das 70. Fahrzeug zu den Verteidigern der Ukraine bringen.

Da die Transporte – und ihre Konvois – immer größer geworden sind, hatten wir Schwierigkeiten, die Gruppe zusammenzuhalten. Dieses Mal hatten wir daher drei Untergruppen gebildet, die jeweils von erfahrenen Fahrern angeführt wurden. Wenn wir den Konvoi nicht als Ganzes zusammenhalten konnten – was bei der Durchfahrt durch Kyjiw, L’wiw oder die Mautstellen in der Nähe von Krakau im Berufsverkehr unmöglich war –, versuchten wir, zumindest die Kleingruppen beisammen zu halten und alle Teilnehmer am nächsten Zwischenstopp wieder zu vereinen.
Wir fuhren in der Dunkelheit vor Sonnenaufgang los. Wir würden von vor Sonnenaufgang bis nach Sonnenuntergang hinter dem Steuer sitzen. Wir fuhren durch Süddeutschland und dann durch Südpolen und beendeten den ersten Tag kurz vor dem Grenzübergang zur Ukraine. Wir versammelten uns zum Abendessen, um das Ende des ersten Tages zu feiern. Als ich den Tisch mit den mehr als zwanzig Gesichtern betrachtete, sah ich eine wachsende Gruppe von Menschen, die bereit waren, ihre Zeit und ihr Geld dafür einzusetzen, die Demokratie zu sichern, und sich um eine Idee scharten, die von Michael und Annette ins Leben gerufen worden war, die ihrerseits seit der ersten Fahrt bereit waren, ihre Komfortzone zu verlassen und die ersten Transporte erstmal alleine durchführten.
Freitag, 10. Oktober 2025
Am zweiten Morgen trafen wir uns zum frühen Frühstück, machten das große Gruppenfoto auf dem Parkplatz der Zollagentur und teilten uns dann auf: Etwa die Hälfte der Fahrer würde bereits umkehren und nach Hause fahren. Ein geplanter Fahrer stellte mit Entsetzen fest, dass er seinen Reisepass zu Hause vergessen hatte, und musste von der „Ukraine-Gruppe” in die andere wechseln. Michael organisierte korrigierte Zollpapiere mit Nadia von Lawyers’ Move.
Die Ukraine-Gruppe überquerte die Grenze von Polen in die Ukraine. Wir waren noch besser vorbereitet als die letzten Male: Michael hatte die polnischen Zollbestimmungen für humanitäre Hilfe noch einmal überprüft und wir waren nun sicher, dass wir alles auf der Grundlage mündlicher Erklärungen mitnehmen konnten – dennoch hatte Annette, um ganz auf Nummer sicher zu gehen, jedes beladene Fahrzeug mit einer kurzen Erklärung ausgestattet, die dem jeweiligen Fahrer notfalls als „Talk Track” dienen sollte. Nach der Grenzüberquerung verabschiedeten wir die Kollegen von 1019.ch mit einem Fahrzeug. Sie hatten eine geplante Übergabe in L’wiw und wollten dort auch eine Werkstatt besuchen, in der ein im Juli überbrachtes Fahrzeug zu einem Evakuierungsfahrzeug, umgebaut wurde.
Der Rest fuhr weiter durch den Regen in Richtung Kyjiw, 650 km entfernt, bei strömendem Regen, auf Straßen, die seit Kriegsbeginn kaum instand gehalten worden waren. Die Gruppe von initial über 20 Personen war nun auf 13 Leute geschrumpft. In Riwne hatte einer unserer SUVs einen Kupplungsschaden und musste in eine Werkstatt abgeschleppt werden. Das ist ärgerlich, aber es passiert ab und an, dass Fahrzeuge es nicht schaffen. Wir hatten schon früher Pannen, von platten Reifen, die leicht am Straßenrand gegen Ersatzräder getauscht werden konnten, bis hin zu Motorschäden. Wir haben auch Problemfahrzeuge achtsam nach Kyjiw gefahren, die dann vor der Übergabe an die jeweilige Einheit in Kyjiw repariert werden konnten.

Als wir uns Kyjiw näherten, fragten wir uns, wie uns diesmal die Navigation durch die Großstadt gelingen würde. Seit der Nacht zuvor gab es einen großen Luftangriff auf die Stadt. Normalerweise wird das GPS während Alarmzuständen gestört, und zudem gab es Stromausfälle. Wir freuten uns nicht darauf, im Dunkeln, im Regen, ohne Strom, mit gestörtem GPS und Drohnen über uns durch die Großstadtstraßen zu fahren. Glücklicherweise endete der Alarm, und wir mussten nur den üblichen Verkehr bewältigen. Wir parkten den Konvoi, checkten in unsere Hotelzimmer ein und machten uns auf den Weg zu einer lokalen Bar. Die Bar war voller junger Leute, der DJ hatte die Lautstärke voll aufgedreht, und die Atmosphäre war ausgelassen. Für einige der Fahrer war dies ihr erster Eindruck von Kyjiw: Eine Stadt, die nur wenige Stunden zuvor einen intensiven Luftalarm erlebt hatte, genoss nun in vollen Zügen das Nachtleben.
Es geht um Resilienz. Diese Bar-Besucher waren nicht leichtsinnig, sondern resilient.
Die Einwohner verschwenden keine Zeit, sondern packen Aufräumen und Reparieren der Schäden sofort an: Ein Spielplatz wird durch eine Rakete zerstört, und ein neuer Spielplatz wird gebaut. Man würde nie vermuten, dass dort eine Rakete eingeschlagen ist. Der Vorort Butscha, der zu Beginn des Krieges für das russische Massaker an der Zivilbevölkerung und die Zerstörungen bekannt wurde, zeigt kaum noch Spuren davon. Die Schäden wurden vollständig repariert. Zerstörte Gebäude werden ersetzt. Ein Einkaufszentrum, das während der russischen Besatzung zerstört wurde, wird gerade neu aufgebaut. Man kann immer noch Schäden finden, aber man muss aktiv danach suchen. Orte wie Kharkiw liegen näher an der Front und werden stärker bombardiert, daher ist es dort schwieriger, aber Kyjiw scheint die Schäden einfach abzuschütteln. Die Einwohner reparieren, ersetzen und machen mit ihrem Leben weiter.
Übergaben am Samstag, 11. Oktober 2025
Wir hatten uns um 8:30 Uhr zum Frühstück verabredet, die ersten Übergaben waren für 10 Uhr geplant. Um 7:30 Uhr kam die Frage im Gruppenchat: „Einer der Empfänger möchte sich um 8:15 Uhr treffen, wer möchte mitkommen?“ Ein paar von uns machten sich direkt auf den Weg. Wir wurden von Nadia von Lawyers’ Move und einem Soldaten in Zivilkleidung begrüßt. Sie begutachteten begeistert das Fahrzeug, das ihre Einheit erhalten sollte. Es war perfekt für das, was sie damit vorhatten!
„Wir gehen den Krieg wie ein Start-up an!“ Diese Aussage überraschte mich zunächst. Durch meine langjährige Tätigkeit in der Tech-Branche bin ich an solche Aussagen gewöhnt, die meist nur leere Plattitüden sind, und mit denen sich ein weiterer Tech-Manager von der Masse abheben und innovativ wirken will. Ich bin es nicht gewohnt, im militärischen Kontext von einer Arbeitsweise wie bei einem Start-up zu hören. Diese Leute sind in dem, was sie tun, extrem erfolgreich, und daher können sie sich so oft sie wollen als „innovativ“ bezeichnen. Sie improvisieren, lernen, verbessern – alles, was zum Überleben und zum Zurückschlagen des Feinds nötig ist, der unerbittlich auf Zerstörung aus ist und offenbar über größere Ressourcen verfügt.
Während des gemeinsamen Frühstücks mit einigen Mitgliedern von Lawyers’ Move wurde es plötzlich still. Die Leute hörten auf zu reden, standen auf, senkten den Kopf und standen etwa eine Minute lang schweigend da. Jeden Morgen um 9 Uhr wird eine Minute lang der Menschen in der Ukraine gedacht, die ihr Leben für die Verteidigung ihres Landes gegeben haben.
Nach dem Frühstück kehrten wir zum Hub zurück, um mit der Arbeit zu beginnen. In den nächsten Stunden gab es viel zu tun, und wir teilten uns die Aufgaben auf. Einige trafen sich mit Mariia von Ukraine’s Frontline Hospitals und brachten die medizinischen Hilfsgüter nach Nova Poshta, um sie zu den zivilen Krankenhäusern zu schicken. Einige der Fahrzeuge sollten umgebaut werden und mussten daher in die Werkstatt gebracht werden. Wiederum andere Fahrzeuge sollten im selben Zeitfenster an Armeeeinheiten übergeben werden.
Wir brachten zwei unserer Fahrzeuge in die Werkstatt. Die Werkstatt führt hauptsächlich Umbauten für die Evakulierung von Verwundeten durch. Die Frontrettungswagen haben etwas von „Mad Max“ an sich. Die umgebauten Fahrzeuge verlassen die Werkstatt wie der Traum eines „Overlanders“, aber sie sind keine Hobby-Spielzeuge. Ihre Aufgabe ist todernst. Mörderische Drohnen fliegen in der „Grauzone“ entlang der Front überall in der Luft und stürzen sich auf alles, was dort fährt. Evakuierung, Verwundetentransport – einerlei. Geschwindigkeit und Geländegängigkeit sind von entscheidender Bedeutung, wobei Casevacs in der Regel aus Pickups und SUVs gebaut werden. Die Heckscheibe und Seitenfensterscheiben werden entfernt und durch Aluminiumplatten ersetzt, ein Lift-Kit, Funkfrequenzstörer gegen die Drohnen und eine Halterung samt Trage für Verwundete werden eingebaut. Standheizung, Innenbeleuchtung, Steckdosen und Materialtaschen kommen hinzu. Der hintere Bereich des Fahrzeugs wird nach den Wünschen des dort arbeitenden Sanitäters gestaltet. Jedes einzelne Fahrzeug ist eine maßgefertigte, individuelle Umrüstung.
Der Mechaniker zeigte uns die neuesten Innovationen auf dem Schlachtfeld. In diesem Krieg gab es ständig Neuerungen und Gegenmaßnahmen: FPV-Drohnen tauchten in großer Zahl auf. Dagegen wurden Störsender und „elektronische Kriegsführung für jedermann“ eingesetzt. Dann kamen die nicht störbaren Glasfaser-Drohnen. Jetzt sind es Kampfdrohnen und Anti-Drohnen-Netze, also Stahlkabelnetze, die über einen an das Fahrzeug geschweißten Rahmen gespannt werden. In der Werkstatt stand ein Pickup, der gerade umgebaut wurde und dessen Anti-Drohnen-Rahmen bereits installiert war. Zu Beginn des Krieges waren „Cope Cages“ auf Panzern ein Meme. Sie wirkten albern, und der Name sollte diese nutzlosen Placebos verspotten. Jetzt werden Pickups mit “Cope Cages” ausgestattet.
In der Zwischenzeit begann es beim Hub wieder zu regnen, und zwei Fahrzeuge fuhren von dort zu Nova Poshta, wo die Sortierung der medizinischen Güter unter dem Dach des Logistikdienstleisters superschnell voranging. Während Mariia von Ukraine’s Frontline Hospitals bei Nova Poshta blieb, um die Güter zu versenden, fuhren wir anderen zurück für weitere Fahrzeug-Übergaben.
Wir hatten Zeit, uns mit einem der Soldaten, die ein Fahrzeug erhielt, in ein Café zu setzen. Er erzählte uns von ihrer aktuellen Arbeit, den Herausforderungen, und wie die Logistik an der Front heutzutage organisiert ist. Als einer aus unserer Gruppe fragte: „Okay, wie ist denn so die Stimmung derzeit in Ihrer Einheit an der Front?“, antwortete er: „Stimmung? Es gibt keine ‚Stimmung‘. Wir tun, was wir tun müssen. Ich kann mir keine ‚Stimmung‘ leisten.“ Keine Bitterkeit, nur eine Feststellung.

Wir aßen mit Mariia und Hanna eine schnelle Pizza im Hub und stellten fest, dass eine andere NGO den Hub nun nutzte, um individuelle Erste-Hilfe-Sets (IFAKs) für ukrainische Soldaten zu packen. IFAKs sind kleine, leicht zu öffnende Taschen, die mit taktischen medizinischen Hilfsmitteln gegen Verwundungen an der Front gefüllt sind. Wir wurden spontan zur Mithilfe eingeladen, erhielten eine kurze Einweisung und konnten so dazu beitragen, dass in kürzester Zeit dabei, 50 IFAKs gefüllt wurden. In der Zwischenzeit kamen diejenigen von uns, die zur Werkstatt gefahren waren, zurück.
Am Nachmittag hatten wir Zeit, durch Kyjiw zu spazieren, der Regen ließ nach und Hanna nahm sich etwas Zeit, um unserer Gruppe die Stadt zu zeigen. Diejenigen, die noch nie in Kyjiw gewesen waren, bestaunten die Glasbrücke und das Denkmal der Freundschaft, entdeckten Wandgemälde und mit Sandsäcken geschützte Statuen und Denkmäler. Sie besuchten den Majdan Nezaleshnosti und sahen sich die wichtigsten Kirchen in Kyjiw an: die Sophienkathedrale, das St. Michael Kloster und die St. Andreas Kirche, bevor wir zum Restaurant für’s Abendessen gingen.
Nadia von Lawyers’ Move hatte etwas Besonderes für uns ausgewählt: Es gab vorrangig gegrillte Rippchen, die mit einem Beilchen von der Bedienung zerhackt wurden, und die man mit den Fingern zu essen hatte.
Die folgende Nacht war wieder überraschend ruhig, und so konnten wir gut erholt in einen Sonntag voller Aktivitäten starten.
Sonntag, 12. Oktober 2025 – Zeit in und um Kyiv herum
Der Tag wurde von Anna Mikulytska, der Geschäftsführerin von SAP Ukraine, organisiert, und wie immer begleiteten uns mehrere SAP-Kollegen, um ihren Besuchern Aspekte der Ukraine zu zeigen, die wir sonst vielleicht nicht zu sehen bekommen hätten.
Am Vormittag fuhren wir zu einem beliebten Ausflugsziel außerhalb von Kyjiw, von wo aus wir einen atemberaubenden Blick auf den Fluss Dnipro hatten, der sich unter uns ausbreitete. Unsere Freunde erklärten uns, dass dies ein Ort sei, an den die Menschen kommen, um dem Stress in Kyjiw und den täglichen Luftangriffen zu entfliehen. Gleichzeitig, so erklärten sie, erinnere sie die Weite des Landes jenseits des Dnipro daran, wofür die Ukraine kämpft. Es war eine unerwartete und bewegende Aussage, die den Eindruck eines einfachen Wochenendausflugs widerlegte, den ein zufälliger Beobachter sonst hätte aus der Situation gewinnen können.
Als wir am Nachmittag nach Kyjiw zurückkehrten, traf uns Oleksiy Makukhin am Eingang zum Gelände von Babyn Yar, dem Ort der wohl berüchtigtsten Massenerschießung des Holocaust. Im September 1941 ermordete eine Nazi-Einsatzgruppe in nur zwei Tagen fast 34.000 Männer, Frauen und Kinder. Die Deutschen vernichteten so viele Beweise wie möglich, bevor sie sich 1943 zurückzogen. Erschreckenderweise setzten die sowjetischen Behörden diese Bemühungen aus eigenen Gründen fort, indem sie die tiefe Schlucht zuschütten ließen und den Anblick dieser Gegend auslöschten, um jede Spur dessen zu beseitigen, was dort geschehen war. Oleksiy, ehemaliger Direktor des Babyn Yar Holocaust Memorial Center, führte uns zu den verschiedenen Gedenkstätten, die die physische Präsenz des Ortes wiederherstellen und Einblicke in das Leben und Sterben der jüdischen Bevölkerung Kyjiws über die Perspektive der Kunst vermitteln: eine fundamentlose Synagoge in Form eines Buchs, die Wand der Tränen, ein Denkmal mit kaputten Puppen sinnbildlich für die zerstörte Kindheit und das Feld der Spiegel, in dem man als Besucher sein eigenes von Kugeln durchsiebtes Spiegelbild betrachtet.
Für uns war Babyn Yar eine eindringliche Erinnerung an die Gewalt und Grausamkeit, die entsteht, wenn Tyrannen ihre Macht ungehindert ausüben. Vor achtzig Jahren schwor die zivilisierte Welt, dass solche Verbrechen nie wieder geschehen dürfen. Wir alle verstanden, dass wir deshalb der Ukraine jetzt helfen müssen, die russische Aggression zu besiegen.
Auf dem Weg zum Restaurant zeigte uns Anna noch ein kleines unscheinbares Mahnmal an der Fassade eines Buchladens, des Künstlers Yuriy Bilyavskyy. Die “Miniskulptur” heißt schlicht “прочитано”, also “gelesen”. Sie besteht aus zwei Häkchen, die so aussehen wie die Häkchen, die auf dem Handy-Bildschirm erscheinen, wenn eine abgesendete Chat-Nachricht auch angekommen ist. Beide sind auf dem Handy zunächst weiß – blau werden sie erst, wenn der Empfänger die Nachricht gelesen hat. An der Skulptur kann man sie mit einem Knopfdruck an der Seite zum Leuchten bringen. Die Miniskulptur erinnert an die Menschen, die Handy-Nachrichten an ihre Angehörigen oder Freunde an der Front geschickt haben, und die nun darauf warten, dass die Häkchen blau werden. Als Lebenszeichen des Empfängers.
Zu unserem Abendessen mit den SAP-Kollegen gesellten sich Oleksiy Makukhin und Prof. Ihor Zhaloba hinzu. Er freute sich sehr, Dr. Sabine Fischer kennenzulernen und sich mit ihr auszutauschen – von Historiker zu Politikwissenschaftlerin.
Wir fuhren mit der U-Bahn zum Hauptbahnhof, unser Zug fuhr pünktlich um 23 Uhr ab, und wir machten es uns in unseren Etagenbetten bequem.
Normalerweise ist diese Nachtzugfahrt zurück nach Polen eine willkommene Gelegenheit, sich zu entspannen und neue Energie zu tanken, insbesondere wenn die Nächte in Kyjiw durch Luftalarm unterbrochen wurden. Dieses Mal waren wir nicht so müde, aber dann verlief die Zugfahrt auch nicht wie erwartet. Mitten in der Nacht hielt der Zug an, und nach einer Weile ging die Schaffnerin zügig von Abteil zu Abteil und verkündete laut „evakuatsia”, was bedeutete, dass alle den Zug verlassen mussten.
Wir wussten zunächst nicht warum, eilten aber hinaus und standen dann im Dunkeln auf einem Bahnsteig und warteten auf die nächsten Schritte. Zuerst befürchteten wir, dass ein Luftalarm ausgelöst worden war, aber nach einer Weile wurde uns klar, dass damit begonnen wurde, den Zug Wagen für Wagen zu durchsuchen, außen und unten mit tragbaren Lampen und innen mit Hilfe eines Hundes, der nach Sprengstoff schnüffelte. Später erfuhren wir aus den Nachrichten, dass ein landesweiter Anruf mit einer Bombendrohung fast alle Züge in der Ukraine betroffen hatte und die Infrastruktur zum Erliegen brachte. Das ist eine billige Form des Terrorismus: Man bezahlt jemanden dafür, ein paar Anrufe zu tätigen, und schon stehen alle Züge für mindestens eine Stunde still.
Wir stiegen wieder in den Zug, schliefen noch ein wenig und kamen dann in L’wiw und schließlich an dem Bahnhof an, an dem der ukrainische Zoll seine Kontrollen durchführt. Annette hatte ein paar Flaschenöffner dabei, die aus schweren Maschinengewehrpatronen hergestellt worden waren, und die wir von einem freundlichen Kollegen für Spendenzwecke in Deutschland erhalten hatten. Sie waren geleert, graviert und mit einem Schlitz versehen worden, damit sie als Flaschenöffner dienen konnten. Der ukrainische Zoll stufte sie dennoch als Munition ein, sie wurden konfisziert, und Annette musste den Zug verlassen, damit ein offizieller Polizeibericht erstellt werden konnte. Während der Rest der Gruppe nach Polen weiterreiste und dann in Krakau ihre Flüge nach Hause nahm, blieb Annette in Mostyska II und wartete. Die Polizisten erschienen 1,5 Stunden später, erklärten dem Zoll, dass die beschlagnahmten Gegenstände keineswegs mehr „Munition” seien, und gingen wieder. Kein Bericht. Weitere 1,5 Stunden später durfte Annette den nächsten Zug nach Polen nehmen und war etwas erleichtert. Nach einer weiteren Nacht in Krakau kam Annette mit einem Tag Verspätung nach Hause.
Epilog
Wir sind zurück! Wir hatten ein paar Tage Zeit, um uns zu erholen und neue Energie zu tanken. Der 17. Transport war sehr erfolgreich. Sicher, es gab diese kaputte Kupplung, aber das Fahrzeug wird bald seine neue Heimat erreichen.
Und für alle sorgfältigen Leser unserer Berichte, die die Fahrzeuge mitgezählt haben, die wir bisher in die Ukraine gebracht haben: Ja, eines fehlt in unseren Berichten: Zwischen unseren Transporten 16 und 17 konnte Nadia von Lawyers’ Move nach Deutschland kommen, traf Michael in Mannheim und brachte ein Fahrzeug in die Ukraine, das dort dringend benötigt wurde, bevor unser 17. Transport geplant war.

























































































Sehr geehrtes Helferteam!
Ich möchte Euch meine Hochachtung und meinen Dank für Eure tolle Leistung und Respekt für Euren Mut aussprechen!
Herzlichst
Andreas Bugs
Lieber Andreas, vielen herzlichen Dank! Die Ukraine gibt nicht auf, und wir werden es auch nicht. Liebe Grüße, Annette