Wir konnten Herrn Prof. Ihor Zhaloba für zwei Vorträge in der Region gewinnen. Am 13. Februar sprach er auf Einladung der Württemberger Gesellschaft in Heilbronn, und am 16. Februar 2025 lud ihn das Kulturforum Südliche Bergstraße e.V. zu einem Vortrag im Kulturhaus Wiesloch ein.
Ihor Zhaloba ist Professor für Geschichte an der Boris-Grinchenko-Universität in Kyiv und Vorsitzender des ukrainischen Verbandes der Paneuropa-Union. Am 25. Februar 2022 meldete er sich als Freiwilliger bei der ukrainischen Armee und nahm als Soldat einer Aufklärungseinheit über die nächsten zwei Jahre an Kampfhandlungen u.a. bei Kyiv, Bakhmut, Robotyne und Chasiv Yar teil.
Wir hatten ihn durch die Vermittlung von Malte Rosenberger im vergangenen Jahr in Kyiv kennengelernt. Zhaloba besitzt eine einzigartige Perspektive als Akademiker, überzeugter Europäer und eben auch als Frontsoldat. Er konnte dank seiner hervorragenden Deutschkenntnisse dem Publikum in Heilbronn und Wiesloch auch diese Perspektive auf direkte und packende Weise vermitteln.
Zhaloba skizzierte anhand der geschichtlichen Entwicklungen entscheidende Unterschiede zwischen der ukrainischen und der russischen Gegenwartsgesellschaft. Wesentlich dabei sei, dass die Impulse für die Bildung ukrainischer gesellschaftlicher Institutionen von der Basis der Gesellschaft herrührten, im Gegensatz zur „top-down“ Entwicklung in Russland. Daher gebe es eine starke Tradition der horizontalen Netzwerke in der Ukraine, Aufgaben zu übernehmen, die in anderen Ländern dem Staat vorbehalten sind, manchmal parallel zum Staat, manchmal am Staat vorbei. Jeder Mensch müsse Stellung beziehen, nicht nur beobachten, sondern etwas tun.
So führten im Vorfeld der russischen Großinvasion 2022 privatgesellschaftliche Organisationen an Wochenenden Grundlagenkurse in Waffen und Taktik durch. Diese Kurse unter dem Motto „Keine Panik, mach Dich bereit!“ dienten unter anderem dazu, den Menschen zu vermitteln, dass sie nicht passiv abwarten müssen, was andere tun, sondern selbst tätig werden können. Zhaloba merkte an, ausländische Journalisten hätten diese Übungen, die teilweise mit Holzattrappen von Gewehren durchgeführt wurden, belächelt, und die TeilnehmerInnen seien tatsächlich völlig unerfahren gewesen. Aber, auch das betonte Zhaloba, diese Menschen—und er persönlich—verteidigten Kyiv erfolgreich.
Die ZivilistInnen der ersten Stunde entwickelten Selbstbewusstsein, lernten dazu und vermittelten das neu erworbene Wissen an neue SoldatInnen—ganz ohne Offiziere. Hier äußerte Zhaloba auch Kritik an der ukrainischen politischen Führung. Bürger müssten immer wieder dort einspringen, wo der Staat nicht oder nicht adäquat handelt, ob bei Vorbereitung, Ausbildung oder Ausstattung der Armee. Auch die mangelnde Bereitschaft der Politiker, Fehler einzuräumen und entsprechend ihre Strategien zu ändern, sei kritisch.
Wie dieses Engagement aussieht, schilderte Zhaloba am Beispiel der Menschen in seiner Einheit: Der Zugchef, Rufname „Este“, der seine Heimat in Luhansk an die russische Besatzung verlor, arbeitete vor Februar 2022 in Estland, kam jedoch freiwillig wieder nach Hause, um die Ukraine zu verteidigen. „Este“ verlor in Gefechten bei Pokrovsk einen Arm und ein Bein, aber er blieb und bleibt fester Bestandteil der Gemeinschaft seiner Kameraden. Sie besuchen ihn, beobachten den Fortschritt seiner Rehabilitation, und er fragt, wie er künftig wieder zur Verteidigung beitragen kann, trotz seiner fehlenden Glieder. Er ist im Kopf und im Herzen weiterhin bei „seinen Leuten“. Diese Zugehörigkeit drückte er in der Antwort auf die Frage aus, ob er schon aus Pokrovsk evakuiert worden sei. Er antwortete: „Ich bin nie von dort weggegangen.“
Ein weiterer Soldat, „Virus“, im zivilen Leben Barista und junger Familienvater, ist im Oktober 2023 gefallen. Ein russischer Luftangriff zerstörte einen Monat später die Wohnung seiner schwangeren Frau und ihrer jungen Tochter. Die Freunde aus der Einheit beschafften der Witwe und den zwei kleinen Kindern eine neue Wohnung und besuchen sie regelmäßig, zu Weihnachten sowie zum ersten Geburtstag des Sohnes, den „Virus“ nie kennengelernt hat.
Der Zusammenhalt ihrer Bürger ist die Stärke der Ukraine.
Ihor Zhaloba hält einen sofortigen Waffenstillstand für keine Lösung. Beide Armeen seien müde, beide Armeen haben hohe Verluste. Aber es gehe um die Existenz der Ukraine. Und für Russland, dessen Ziele sich nicht verändert hätten, wäre ein Waffenstillstand nur eine Pause, um sich zu erholen. Sein Ausblick ist nüchtern, aber zuversichtlich: Die Armee sei die beste Hoffnung der Ukraine.
Skeptikern entgegnet er, an die Wiedervereinigung Deutschlands habe auch niemand geglaubt. Er ist überzeugt, dass die Ukraine bestehen wird. „Wir haben die Kraft“, sagte er entschieden.
Pickup4Ukraine bedankt sich für die Unterstützung und Zusammenarbeit mit der Württemberger Gesellschaft und dem Kulturforum Südliche Bergstraße e.V. Insbesondere danken wir Prof. Zhaloba für die eindringlichen Schilderungen seiner Erfahrungen und für seine klaren Worte zur Lage der Ukraine sowie Europas.

