Vorbereitung
Diese Fahrt war unser bisher umfangreichster Transport, mit insgesamt sieben Fahrzeugen.
Bereits kurz nach unserer achten Fahrt im Februar (wir berichteten) begannen wir mit der Planung der nächsten Lieferung. Wir hatten eine lange Wunschliste von unseren ukrainischen Freunden, unter anderem auch wieder für Frontmedizin. Glücklicherweise fuhr unser Kollege Dave in die USA, so dass wir direkt dort eine neue Bestellung aufgeben konnten, die er dann auf dem Rückflug mitbrachte. Die beschafften Fahrzeuge waren diesmal sehr divers: Ein VW Crafter Pritschenwagen, zwei Mercedes Sprinter (einer davon ein Ambulanzfahrzeug), ein VW T4, ein Ford Ranger und ein Mitsubishi L200 – ohne Pickups kein Pickup4Ukraine. Ein Citroen Kastenwagen wurde uns von Dirk aus dem Raum Berlin gespendet. Dave und Yuriy unterstützten mit KfZ-Kenntnissen die Besichtigung und die Auswahl der Fahrzeuge. Auch die “Crew” war diesmal heterogen – kein Wunder bei 12 Fahrern für den ersten Abschnitt bis zur polnisch-ukrainischen Grenze! Wir danken an dieser Stelle allen, die mitgemacht haben: Stephan, Markus, Georg und Daniela, die uns bis Radymno unterstützt haben, und Heinz, der bis Lviv mitfuhr. Kay und Gary waren bis Kyiv dabei und Andreas, Ruslana, David, Michael und Annette fuhren bis Dnipro. Vielen Dank! Nur zusammen schaffen wir das!
Die finanziellen Spenden übertrafen alles bisher Dagewesene. Aus Heilbronn, aus St.Leon-Rot, aber auch aus dem Raum Köln wurden sehr große Spenden überwiesen, und die Speyerer Combo Krempl gab für uns am Freitagabend vor unserer Abfahrt ein wundervolles Benefizkonzert in Speyer. Wir haben dabei unsere Arbeit vorgestellt und waren dankbar, dass uns die Spenden aus der Zuhörerschaft uns ermöglichten, die Frontmedizin zu kaufen, die so dringend benötigt wird.
Auch die Material-Spenden waren dieses Mal umfangreich. Bereits Anfang März holten Michael und Annette in Stuttgart ein kieferorthopädisches Röntgengerät ab, außerdem hatten wir auch diesmal wieder große Mengen an OP-Verbrauchsmaterialien, die wir gemeinsam sortierten und auf die Fahrzeuge verteilten. Vielen Dank an dieser Stelle an Georg und Heinz, die unsere Sortieraktion tatkräftig unterstützten. Bei dieser Gelegenheit erhielten wir Besuch von RON TV, dem Regionalsender von RTL, der am 19. April 2024 hierüber und über unsere Tätigkeit einen kurzen Filmbericht sendete. Wir erhielten außerdem eine Reihe von Gehhilfen und eine VW-Bus-Füllung von Camping-Toiletten mit Zubehör aus Katastrophenschutzbeständen. Ein OP-Stuhl für Augenoperationen und ein EKG-Gerät wurden kurzfristig aus Heilbronn gespendet, ebenso wie zwei Kartons mit elastischen Bandagen. Wir danken den Spendern! Yuliia und weitere ukrainische Geflüchtete in Walldorf hatten wieder Kartons voller Grabenkerzen hergestellt – danke, dass dafür im Begegnungshaus die Küche genutzt werden darf! Die Dosen kommen u. a. vom Tierheim in Walldorf, und die Kerzenreste wurden in Walldorf, bei SAP, in der Umgebung und diesmal auch in Köln gesammelt. Kartons mit Medikamenten-Spenden kamen aus Speyer dazu, hygienische Bettlaken und Bettzeug aus St. Leon-Rot, sowie eine Sammlung Krücken mit Schokolade-Beutelchen aus einem Nachlass, eine DJI Drohne – und last but not least über 10 kg Schokolade. Für die Humanitäre Ukrainehilfe (HUH) konnten wir fünf Kartons mit Materialien für ein Krankenhaus in der Region Kherson mitnehmen. Dave packte noch diverse Dinge, wie Spielsachen und Essen, für ein Waisenhaus in der Nähe von Kyiv ein.
Der Transport
Tag 1, Sonntag: Fahrt an die polnisch-ukrainische Grenze
Am 21. April ging für 6 Autos die Fahrt dann in aller Frühe los. Wir hatten zuvor ein paar Konvoi-Regeln aufgestellt und diesmal auch die Reihenfolge der Autos mit Schildern in jedem Auto definiert. Die Ambulanz in der Mitte der Autoschlange erwies sich dabei als Orientierungspunkt für Michael in Fahrzeug 1 im Rückspiegel und für Annette im letzten Fahrzeug. Um 05:45 trafen wir uns alle an einem Rastplatz an der A6 in der Nähe von Sinsheim. Einige Fahrer hatten sich beim letzten Packen und anschließenden Abendessen am Vorabend schon kennengelernt. Unterwegs in Thüringen hatten wir dann viel Schnee, und über die ganze Fahrt sehr viel Regen – aber diesmal waren alle Autos dicht, und es regnete nicht rein (wie auf der Fahrt im August 2023 nach Kharkiv, mit dem letztlich grün lackierten Pickup “Zhaba”).
Im Übrigen verlief die Fahrt problemlos, und wir trafen am Abend im Dwór Kresowy in Radymno dann Kay aus Berlin, der uns das 7. Fahrzeug, den Citroen Jumper, mitbrachte.
Die erste Schreckensnachricht erreichte uns allerdings am Abend in Radymno: Das Zollverwaltungssystem war ausgefallen, und es konnten keine Zolldokumente beantragt werden. Es wurde vermutet, dass die Software am nächsten Morgen wieder funktionsfähig sein würde. Kurzentschlossen gingen Michael, Ruslana und Annette dennoch zur Zollagentur und erfuhren, dass humanitäre Hilfe durchaus in einem Backup-System abgefertigt wurde. Wir parkten alle sieben Fahrzeuge bei der Agentur, und sie begannen umgehend mit der Bearbeitung.
Tag 2, Montag: Über die Grenze nach Lviv
Am nächsten Morgen traten Stephan, Markus, Georg und Daniela ihre Rückfahrt nach Deutschland an. Die gute Nachricht des Morgens war, dass die Zoll-Dokumente alle über Nacht erstellt worden waren. Aber dann: zweiter Schreckmoment: der Sprinter hatte einen Platten. Heinz war vorbereitet und hatte einen Schutzoverall und eine Styroporplatte mitgenommen. Einen Wagenheber und Werkzeug gab es auch, Kay und Heinz gingen ans Werk das Rad abzumontieren, während Andreas bereits mit einer polnischen Werkstatt telefonierte. Das Rad hatte einen Felgenbruch, konnte aber geschweißt, aufgepumpt und wieder angebracht werden. Wir fuhren mit 1,5h Verspätung an die Grenze.
Annette hatte unser Kommen offiziell angemeldet, so dass wir (mit Polizeibegleitung) zumindest die erste Schlange der wartenden Fahrzeuge umgehen durften. Innerhalb der Grenzanlagen ging dann allerdings alles seinen normalen Gang. Ruslana erreichte, dass wir als Gruppe abgefertigt wurden und konnte alle ad hoc auftretenden Fragen und Anliegen der Zöllner auf beiden Seiten der Grenze mit wortreichem Charme beantworten. Es war ein großes Unterfangen, und so brauchte die Grenzüberquerung insgesamt doch fünf Stunden.
Wir hatten nach unserer Ankunft in Lviv abends nur noch Energie für einen kurzen Altstadtspaziergang und ein gutes Abendessen. Unser Hotel hatte uns viel Stellfläche freigeräumt, so dass wir alle sieben Fahrzeuge direkt vor dem Hotel parken konnten. In der Stadt fiel unseren neuen Fahrern auf, dass man vom Kriegszustand auf den ersten Blick nicht viel sieht. Wenn man jedoch näher hinschaut, erkennt man, dass Statuen und Denkmäler mit Sandsäcken gesichert und dann mit Folie eingepackt sind, auf der sinngemäß z. B. steht “mich kann man nach dem Sieg wieder bewundern”. Man sieht Metallplatten, die Kirchenfenster schützen. Und am Ausgang des Restaurants wird in einem großen Gurkenglas kein Trinkgeld gesammelt, sondern Geld für die Beschaffung von Drohnen für die Armee. Und direkt an der Ausgangstür ist ein Schild mit dem aktuellen Stand der Verluste des Gegners, kommentiert mit einer Zeile aus der ukrainischen Nationalhymne, die darin besingt, dass die “kleinen Feinde dahinschmelzen wie Tau unter der Sonne”.
Tag 3, Dienstag: Nach Kyiv
Am nächsten Morgen verabschiedeten wir Heinz, der sich von Lviv auf die Heimreise machte. Kay, Gary, Ruslana, Andreas, Dave, Annette und Michael fuhren in Richtung Kyiv weiter. Unterwegs sahen wir große Militärkonvois auf dem Weg von Westen nach Osten: Diverse Fahrzeuge, aber auch umgewidmete Nahverkehrsbusse voll mit Soldaten. Man sieht danach unsere Nahverkehrsbusse hier in der Region mit anderen Augen. In der umgekehrten Richtung waren mitunter Kolonnen von Krankenwagen unterwegs, mitunter auch mit umgebauten Lastwagen, in denen dann gleich mehrere Verwundete transportiert und versorgt werden können. Das macht sehr nachdenklich.
In Zhytomyr hatten wir das besondere Glück, den Vater von Ruslana zu treffen. Er ist in der ukrainischen Armee, seine Einheit ist derzeit auf Rotation und eine Raststätte bot sich als Treffpunkt an. Die Soldaten waren erfreut, freiwillige Helfer aus dem Ausland zu treffen.
In Kyiv stellten wir den Hof des Büros unserer Partnerorganisation „Lawyers Move“ (bis vor kurzem „Dead Lawyers Society“) voll mit unseren Fahrzeugen. Wir luden erst alle Materialien aus, die für die Hilfsorganisation dort bestimmt waren. Mariias Freude über die Fahrzeuge, insbesondere die Ambulanz, aber auch über die Geräte und Materialien war sehr groß.
Die großen Geräte, also der gespendete Augen-OP-Stuhl, das EKG und das Röntgengerät, sowie die 5 Medizin-Kisten der HUH für das Krankenhaus in Kharkiv konnten wir dann zum Logistikdienstleister Nova Poshta fahren, dort ausladen und verschicken.
Anschließend folgten wir der Einladung von Anna Mikulytska zu einem Restaurant in Podil, zu einem Abend mit SAP-Kollegen aus Kyiv. Dort im Untergeschoss bekamen wir eine private Vorstellung von “20 Tage in Mariupol”, der gerade im Februar den Oscar als bester Dokumentarfilm erhalten hat. Es fällt schwer darüber zu schreiben. Diesen Film in Kyiv, im Keller eines Gebäudes auf einer großen Leinwand zu sehen, war nochmal eindrücklicher, als ihn mit Distanz, auf dem Sofa im Wohnzimmer daheim, am Laptop-Bildschirm aus der ARD-Mediathek anzuschauen. Das Grauen und das Elend waren in ganz anderer Weise spürbar.
Mariupol ist immer noch russisch besetzt, und die Angriffe der Russen richten sich weiterhin gezielt gegen andere große Städte der Ukraine, wie beispielsweise Kharkiv und Dnipro. Auch dort werden zivile Gebäude zerstört und auch dort sterben weiterhin Zivilisten.
Tag 4, Mittwoch in Kyiv
Heute hatten wir ein volles Programm. Zum Glück war die Nacht ruhig. Zunächst trafen wir uns mit Ruslan von „Lawyers Move“ zum Frühstück in einer Startup-Kaffee-Rösterei. Sie haben in einer Fabrikhalle die gesamte Fertigung und den Versand untergebracht, und nebenbei bieten sie Kaffee, Tee und Snacks an, die wir auf einer Art Metallgitter-Empore genießen konnten. Anschließend fuhren wir mit dem VW-Transporter und dem Sprinter in einen Vorort von Kyiv, wo wir Sviatoslav trafen. Er hat die beiden Fahrzeuge, die in Casevacs (casualty evacuation, also Evakuierungsfahrzeuge) umgewandelt wurden (wir berichteten), jeweils in Tarnfarben lackiert. Sein eigentlicher Job ist Bühnenbildner am Nationaltheater in Kyiv. Er bekam jetzt den Auftrag, den VW-Transporter und den Sprinter in Tarnfarben zu lackieren. Wir ließen die Fahrzeuge dort, übergaben ihm die Schlüssel, und Ruslan fuhr uns zurück zum Hub.
Mittags trafen wir erneut Anna, die uns zu einem Mittagessen mit dem Chef der ukrainischen Firma “Winner” einlud. Winner importiert Autos aus aller Welt in die Ukraine und unterhält selbst eine Hilfsorganisation, die unter anderem den Einheiten, in denen ihre Mitarbeiter an der Front dienen, gebrauchte, oder auch neue Fahrzeuge zukommen lässt. Sie unterstützen auch größere Krankenhäuser, insbesondere für Kinder. Sie erzählten über ihre Arbeit, ließen sich von uns berichten und boten an, uns beispielsweise mit Reparaturen oder Inspektionen unserer Autos in der Ukraine beiseite zu stehen. Im Gegenzug schlugen wir vor, dass wir unser Netzwerk von Unterstützern anfragen, um ihnen mit Materialien für die Kinderärzte auszuhelfen.
Nachmittags hielt Annette einen Workshop über Verhandlungsstrategie unter dem Stichwort “Identifying the Solution Space” an der American University Kyiv. Dave und Michael nahmen auch teil. Es war eine gelungene Veranstaltung, bei der die vermittelte Theorie mit viel Erfahrung vor allem von den Teilnehmern kombiniert wurde. Learning Moment.
Abends trafen wir uns mit Nadia, Mariia und Ruslan zum Abendessen. Mariia berichtete, dass sie ab Herbst einen Lehrauftrag zu Verfassungsrecht bekommen hatte. Es hatte den ganzen Tag geregnet und wir waren froh, in der Unterkunft wieder im Trockenen zu sein. Wieder war die Nacht ruhig.
Tag 5, Donnerstag in Kyiv
Heute morgen hatten wir uns mit Olga Koshelenko zum Frühstück verabredet. Sie ist die Frau von Kostiantin Koshelenko, stellvertretender Minister für Sozialpolitik und digitale Transformation. Annette hatte mit ihr über LinkedIn Kontakt aufgenommen. Olga strickt patriotische Pullover und verschickt sie weltweit. Annette hatte einen bestellt und konnte ihn nun persönlich in Empfang nehmen. Olga hatte ein bisschen Zeit mitgebracht, und so saßen wir zusammen und konnten uns über “private life and raising kids in times of war” unterhalten.
Anschließend sammelten wir aus den Fahrzeugen, die in Kyiv bleiben sollten, noch die persönlichen Gegenstände ein oder luden sie um in die Fahrzeuge, die am nächsten Tag nach Dnipro fahren sollten. Leider stellte sich im Laufe des Tages heraus, dass wir nur 2 Fahrzeuge nach Dnipro bringen sollten, da die Einheit, die den Ford erhalten sollte, beschäftigt und nicht erreichbar war. Später erfuhren wir von Serhiy warum. Wir trafen uns dann nochmal mit Lawyers Move, um die Dokumente für die Fahrzeuge zu finalisieren. Im Laufe des Tages erlebten wir den ersten Luftalarm. Um uns herum gingen die Sirenen mit dem gewohnten ansteigenden Ton los, auf dem Handy auch, und Mark Hamills Stimme aus der Air Alert App mahnte, sich in Sicherheit zu bringen. Alle Geschäfte schlossen. Der Luftalarm wurde diesmal “nur” durch eine aufgestiegene MiG verursacht, was bedeutet, dass erstmal abgewartet wird, ob und ggf. wo im Land ernsthafte Gefahr droht. Man hält sich dann in der Nähe einer Metrostation auf. Abends trafen sich Michael, Dave und Annette mit Oleg und seiner Familie zum Essen. Annettes Familie hatte die Kinder im Frühjahr 2022 nach der Invasion für vier Monate bei sich aufgenommen.
Tag 6, Freitag: Fahrt nach Dnipro und Übergabe
Heute ging es in aller Frühe los. Michael, Andreas, Ruslana, Dave und Annette verabschiedeten sich um 05:00 Uhr von Kay und trafen sich anschließend mit unserem guten Freund Serhiy, der uns dieses Mal wieder nach Dnipro begleitete. Die Sonne ging auf, und man konnte unterwegs einerseits bis zum Horizont reichende gelb blühende Rapsfelder unter blauem Himmel bewundern, aber auch übersprühte Autobahnschilder, die immer noch zeigen, dass sich das Land im Krieg befindet, und man den Invasoren nicht auch noch “den Weg weisen will”. Unterwegs hielten wir für ein authentisches ukrainisches zweites Frühstück wieder bei U Sester, dem Restaurant der “zwei Schwestern” und hatten nicht nur Borschtsch for breakfast. Kurz vor Poltava wechselten wir auf die Straße Richtung Süden, nach Dnipro. Der Straßenzustand ist auf diesem Streckenabschnitt deutlich schlechter als in der West-Ost-Richtung. Uns kamen einige große, leere Tieflader entgegen. Wir hoffen, sie waren im Süden und haben endlich das dringend benötigte große Material für die ukrainische Armee geliefert.
Gegen Mittag kamen wir an der vereinbarten Raststätte in der Nähe von Dnipro an. Die Soldaten der beiden Einheiten waren schon vor Ort und freuten sich riesig über die beiden Fahrzeuge und die Drohne. Wir machten zur Dokumentation viele Fotos und sie nahmen sich Zeit, zum Dank für die Spender Fahnen zu unterzeichnen. Schließlich hatten wir noch einen Kaffee zusammen, und einer der Soldaten rief seine “kleine Schwester” an, die nach Deutschland geflüchtet war, um ihr von dem besonderen Glück zu berichten. Sie war sehr gerührt. Wir auch. Es ist für uns immer wieder bedeutsam zu erfahren, wie wichtig es den Soldaten in der Ukraine ist, nicht nur das Material zu bekommen, sondern von uns allen zu erfahren, dass Menschen im Ausland begreifen, dass es bei dem Kampf gegen die russischen Invasoren nicht nur um das Schicksal der Ukraine geht, sondern letztlich um die Verteidigung von ganz Europa.
Nach dem Abschied von Ruslana und Serhiy, die nach Kyiv zurückkehrten, fuhren Michael, Andreas, Dave und Annette zum Hauptbahnhof in Dnipro. Kaum dort angekommen, kam ein Luftalarm. Die Details erfuhren wir über verschiedene Telegram-Kanäle und blieben daher “im Untergrund” bis zur Entwarnung. Anschließend wollten wir gerne in ein Café gehen. Auf dem Weg dorthin sahen wir auf dem Bahnhofsvorplatz das von einem russischen Raketenangriff letzte Woche zerstörte Gebäude neben dem Busbahnhof. Direkt auf dem Platz vor dem Bahnhof steht auch ein Beton-Schutzraum.
Dann kam der nächste Luftalarm, und wir gingen in die Metrostation. Dort blieben wir erneut, bis der Alarm wieder aufgehoben wurde. Diesmal dauerte es jedoch über zwei Stunden. Die Metrostation war zunächst voll mit Leuten, der Metroverkehr ging weiter, und wir hatten den Eindruck, dass die Menschen in Dnipro sich mit dem Alarm abfinden und ihrem normalen Leben nachgehen. Der Aufenthalt in der Metrostation ist nicht angenehm. Das Klima ist feucht-kalt, man sitzt auf Holzbänken und wartet. Oder man läuft – wie Annette – irgendwann wie ein eingesperrtes Zootier den Bahnsteig auf und ab, um die Säulen herum, hin und her und im Kreis.
Als der Alarm vorüber war, reichte die Zeit nicht mehr für einen Cafébesuch, und wir beschlossen, im Supermarkt neben dem Bahnhof noch Proviant einzukaufen. Der nächste Luftalarm kam, und interessanterweise schloss der Supermarkt nicht. Der Luftalarm war vorbei, und gut versorgt gingen wir in den Bahnhof, um unser Gepäck zu holen. Der nächste Alarm kam, wir blieben bei den Schließfächern “im Untergrund”. Als “die Luft wieder rein war”, konnten wir hoch auf’s Gleis. Der Nachtzug von Zaporizhzhia nach Przemyśl in Polen war bereits da, wir bezogen unser Vierer-Abteil, und der Zug fuhr pünktlich los. Wir lieben Ukrzaliznytsia, die ukrainische Eisenbahngesellschaft, für ihre trotzige, gut geölte Zuverlässigkeit.
Tag 7, Samstag: Rückkehr nach Polen
Die Fahrt von Dnipro nach Przemyśl in Polen dauert 17 Stunden. Der Zug ist (immer, zu jeder Jahreszeit) warm und stickig. Aber: Man ist in Sicherheit und kann schlafen. Während der Nacht und am folgenden Tag wurde das Land, und insbesondere Kyiv und Dnipro, sowie Kraftwerke und ein psychiatrisches Krankenhaus in Kharkiv, von Russland mit insgesamt 34 Raketen unterschiedlichen Typs angegriffen. Unsere Freunde in Kyiv erklärten, dass dies nach den ruhigen Nächten an den Tagen zuvor zu erwarten war. Die ukrainische Luftabwehr konnte nur einen Teil der Flugkörper zerstören, mangels Materials.
Wir erreichten sicher und wohlbehalten Przemyśl und fuhren nach kurzem Aufenthalt nach Krakau weiter. Den Abend dort verbrachten wir in einer Brauerei mit leckerem, traditionellen polnischem Essen.
Als ich die steile Treppe ins Kellergewölbe des Restaurants herunterstieg, war mein erster Gedanke “Sehr gut. Das Restaurant ist im Untergeschoss. Dann sind wir bei Luftalarm geschützt.” Diese Überlegungen kommen – auch wenn die Ukraine schon eine Weile wieder verlassen hat – automatisch. Ebenso hört man genauer hin, wenn man irgendwo einen ansteigenden Ton hört, der der Luftalarm Sirene ähnelt. Das bleibt eine Weile nach der Rückkehr so.
Tag 8, Sonntag: Rückkehr nach Deutschland
Nach dem Frühstück machten wir uns auf den Weg zum Flughafen. Gegen Mittag waren Michael, Dave und Annette wieder zu Hause – vielen, vielen Dank an Hansi fürs Abholen! Es tut so gut, nach einer Woche voller Logistik, zu wissen, dass man den letzten Streckenabschnitt nicht selbst organisieren muss. Andreas nahm einen späteren Flug nach Düsseldorf.
Nach einer Woche in der Ukraine können wir Resümee ziehen. Die Stimmung bei den Menschen, die wir trafen, ist jetzt spürbar weniger gedrückt und verzweifelt als bei unseren letzten Transporten im Dezember und Februar. Die Leute schöpfen Hoffnung, unter anderem weil die Unterstützung aus den USA nun zugesagt und in Teilen schon ins Land geliefert ist, und weil nach wie vor aus vielen europäischen Ländern staatliche, aber auch private Unterstützung den Menschen Mut macht.
Auch wenn in den Nachrichten von der kritischen Lage an der Front und von kleineren russischen Geländegewinnen berichtet wird, haben wir doch den Willen der Ukrainer deutlich gespürt, ihr Land wieder zu befreien, den Aggressor zurückzudrängen und diesen Krieg zu gewinnen.
Wir möchten sie weiterhin unterstützen und bedanken uns bei allen, die dabei mithelfen. Die nächste Fahrt ist in Planung. Die finanziellen Mittel reichen noch nicht aus, aber wir sammeln weiter.