Einführung
Solidarität ist das Kostbarste, was wir für den Erhalt demokratischer Werte besitzen. Wir helfen anderen und uns selbst, wenn wir zusammen agieren. Der Kreis von Pickup4Ukraine wird immer größer, und wir wollen die Menschen würdigen, die an unserer Aktion teilhaben. Daher möchten wir dieses Mal zwei Berichte anbieten: einmal narrativ wie immer über die Vorbereitung und die Fahrt selbst, und einmal über die Menschen, die ihren Beitrag für die Ukraine leisten.
Fracht und Autos
Für diesen Transport konnten wir vier Fahrzeuge erwerben: zwei Pickups, einen SUV und einen großen VW-Transporter. Diese haben wir gezielt nach den Anforderungen der Empfänger gesucht.
Eine ukrainische SAP-Kollegin hatte uns im Frühjahr angesprochen, ob wir für die Einheit ihres Schulfreunds einen Pickup finden könnten. Die Anforderungen waren besonders hoch, und wir brauchten lange Zeit, bis wir etwas Geeignetes finden konnten, was ins Budget passte. Der Toyota Hilux genießt den Ruf eines besonders strapazierfähigen und zuverlässigen Pickups. In Deutschland sind sie relativ selten, und wir hatten Glück, dass unser Freund Andreas einen bei Aachen besichtigen und sicherstellen konnte. Der Verkäufer, der sonst mit schwerem Gerät handelt, hatte den Pickup von einer Baufirma im Paket mit “interessanteren” Fahrzeugen erworben und verkaufte ihn uns mit einem ordentlichen Rabatt, als er unseren Zweck erfuhr. Der Pickup wird mit der Einheit an der Südfront bei Zaporizhzha eingesetzt.
Der VW-Bus wird in Zusammenarbeit mit unserer Partnerorganisation “Lawyers’ Move” zum siebten “Casevac”, d.h. Evakuierungsfahrzeug, umgebaut. Er ist lang und hoch und erlaubt Sanitätern, bei Bedarf im Stehen zu arbeiten. Er hat auch Allradantrieb, unerlässlich für den Einsatz fernab von asphaltierten Straßen. Lawyers’ Move lässt den Bus u. a. mit einer Fahrtrage, Nachsichtgerät, Standheizung, Zusatzbeleuchtung, Martinshorn und Blaulicht ausstatten, um ihn als Rettungswagen tauglich zu machen.
Das große Volumen war aus anderem Grund für uns behilflich. Pickup4Ukraine erhielt die phenomenal großzügige Spende eines Operationsmikroskops von Britta und Jens Uhl aus Heilbronn. Dieses wertvolle Mikroskop darf man nicht mit dem aus dem Biologie-Unterricht verwechseln: Es hat über 200 kg Gewicht und ist rund 2 Meter hoch, so dass es gerade eben stehend in den VW Transporter passte. Es ist für die Augenchirurgie im regionalen Krankenhaus in Mykolaiv bestimmt. Kisten von chirurgischen Instrumenten und ein Behandlungsbett aus einer Dialysepraxis in Karlsruhe kamen noch hinzu.
Wieder erhielten wir umfangreiches gespendetes Material aus Kliniken und Krankenhäusern der Region zur Verfügung. Aus dem Bodensee-Raum erhielten wir einen Rollstuhl und Pflegematerialien, und vom Uniklinikum Freiburg hatten wir nochmal mehrere tausend Einweghandschuhe eingepackt – auch immer extrem nachgefragt, insbesondere an den Stabilisierungspunkten.
Wir bedanken uns an dieser Stelle herzlich für diese Unterstützung—was wir mitbringen, stimmen wir mit Lawyers’ Move ab, so dass wir Nützliches und nichts Überflüssiges mitnehmen. Was ankommt, hilft!
Donnerstag
Für diese zwölfte Lieferung hatten wir terminbedingt nur ein kurzes Zeitfenster und mussten in wenig Zeit viel tun. In fünf Tagen mussten wir nach Kyiv und wieder zurück. Wie gehabt starteten wir um 5.00 morgens auf dem Weg zur polnisch-ukrainischen Grenze. Das ist eine Strecke von knapp 1300 km, etwa dieselbe Entfernung wie nach Süditalien. Diesmal dankenswerterweise von mechanischen Problemen verschont kamen wir gut voran, aber weil es ein Donnerstag war, standen wir im Laufe des Tages mehrfach im Stau—bei Dresden, Katowice und Kraków—was den FahrerInnen Geduld abverlangte. Außerdem waren wir vor allem morgens von Regen und stürmischem Wind begleitet, was sich im langen und hohen VW-Bus bemerkbar machte.
Am ersten langen Tag fahren wir aus Sicherheitsgründen in doppelter Besetzung, damit ein Fahrerwechsel möglich ist, und dieser ist immer wieder auf eintönigen Autobahnabschnitten nötig. Wir gönnen uns auch keine langen Pausen, damit wir nicht allzu spät abends am Hotel ankommen, denn auch der nächste Tag ist lang.
Diejenigen von uns, die die ersten zwei Drittel der Route zurücklegen, bevor sie gleich wieder nach Hause fahren, teilen die Strapazen und den Aufwand mit den Fahrern, die bis Kyiv fahren, ohne die Genugtuung, selbst die Hilfsgüter zu übergeben. Pickup4Ukraine dankt Euch, Dave, Frank, Georg und Peter für Euer Engagement ohne den „Glamour von Flaggen“ und ohne die in Umarmungen direkt spürbare Dankbarkeit der Empfänger.
Freitag
Wegen der straffen Planung war das Ziel am zweiten Tag Kyiv, ohne den Puffer einer Übernachtung in Lviv, wie wir es früher meist gemacht haben. Man weiß nicht, wie lange die Pass- und Zollabfertigung jeweils auf der polnischen und ukrainischen Seite dauern. Weil wir inzwischen eine gewisse Routine haben und mit Hilfe von Lawyers’ Move für die ukrainische Seite gut vorbereitet sind, verzichteten wir auch diesmal auf eine Sicherheitsmarge. Wir starteten kurz nach 7.00 vom Hotel aber kamen trotz einer vertretbaren Bearbeitungszeit von insgesamt zweieinhalb Stunden an der Grenze erst um 21.00 in Kyiv an. Zu den üblichen Staus um Lviv kam Dauerregen, der bis kurz vor Kyiv anhielt und mitunter vor allem bei Dunkelheit für gefährliche Straßenverhältnisse sorgte. Unterwegs beobachteten wir mehrere schwere Unfälle, leider mit Toten, wie das Radio berichtete. Die lange Strecke, die schwierigen Verhältnisse und Dunkelheit zehrten an den Nerven, aber wir kamen gut an und wurden am Ziel von unserem Freund Ruslan begrüßt und konnten drei der Fahrzeuge am Sitz von Lawyers’ Move unterbringen. Mit dem vierten fuhren vier von uns ins Hotel und checkten ein…als der erste Luftalarm tönte und wir uns auf den Hotelflur begaben. Zum Glück handelte es sich um eine sehr allgemeine Warnung für ganz Ukraine, und nach 40 Minuten, kurz vor 23 Uhr, kam bereits Entwarnung, ohne dass wir in einen Luftschutzraum fliehen mussten. Danach hatten wir glücklicherweise Ruhe, so dass wir ungestört schlafen konnten.
Samstag
Samstag früh hatten wir die Entladung der Fahrzeuge am Sitz von Lawyers’ Move vor uns, aber vorher trafen wir zum Kaffee mit Ruslan, der uns in ein neu eröffnetes Café führte, wo es Kaffee und Kuchen auf höchstem Niveau gab. Immer wieder beeindrucken uns das Ausmaß an Kreativität, die Liebe zum Detail und das Streben nach Perfektion. Was wir bei uns zu Hause in normalen Zeiten als exzellent loben, schaffen Menschen in der Ukraine auch im Krieg, trotz der Bedrohung, trotz Schlafmangels, und trotz des Umstands, dass inzwischen wohl jede Familie Mitglieder oder Freunde vermisst, die an der Front ihr Leben gelassen haben.
Bei Lawyers’ Move am Hub erwartete uns unsere Partnerin Mariia, die mit geübtem Blick die mitgebrachten medizinischen Materialien einschätzte und entschied, ob sie erst gelagert oder gleich per Logistikdienstleister Nova Poshta direkt an die Krankenhäuser verschickt werden. Dann trugen wir gemeinsam die zu lagernden Sachen ins Haus, luden alles Übrige in zwei Fahrzeuge und fuhren zu Nova Poshta.
Dort angekommen packten alle an, um das schwere Dialysebett sowie das wuchtige Mikroskop aus dem VW-Bus herauszuholen und mit einem Hubwagen zum Schalter zu bringen. Zu Mariias Bestürzung war Nova Poshta das geeignete Verpackungsmaterial ausgegangen, und sie mussten das Mikroskop bis Montag früh in der Filiale behalten, bis es ordnungsgemäß eingewickelt und verschickt werden konnte. Nova Poshta ist Rückgrat der zivilen ukrainischen Logistik—sie haben Wort gehalten, und das Mikroskop ging Montag gut verpackt auf den Weg nach Mykolaiv.
Zwischenzeitlich meldete sich Nadia: Unsere erste Übergabe eines Pickups muss vorgezogen werden, von 16.00 auf 11.00. Wir mussten Mariia bei Nova Poshta lassen, um die Formalitäten abzuwickeln, während wir wieder zu Lawyers’ Move zurückeilten. Uns erwartete schon eine Gruppe von Soldaten, die neugierig ihren neuen (alten) Toyota begutachteten. Wir übergaben Schlüssel und Papiere, beantworteten ihre Fragen zum Fahrzeug und machten einige Übergabefotos.
Anschließend mussten wir uns beeilen, zu einem Termin mit dem Ständigen Vertreter des deutschen Botschafters in Kyiv pünktlich zu kommen. Es folgte eine informelle Runde mit einer Einschätzung der Lage im Ukrainekrieg mit anschließender Frage- und Antwortenrunde. Der Ständige Vertreter des Botschafters unterstrich die Wichtigkeit, dass die Ukraine nicht der russischen Aggression preisgegeben werden dürfe und beschrieb auch seine persönlichen Bemühungen, Menschen in Deutschland die Situation näher zu bringen. Igor und Elena Gilbo nahmen ebenfalls an der Runde teil. Igor Gilbo ist bedeutender Fotograf des ukrainischen Alltags von der Sowjetzeit bis heute und brachte eine Auswahl seiner Bücher und Bilder mit. Wir waren von der Unmittelbarkeit und Ehrlichkeit der Kunst tief beeindruckt.
Allzu lang konnten wir nicht bleiben, denn die nächste Übergabe stand am Nachmittag an. Eine Anfrage eines jungen Mannes erreichte uns im August. Der Mann, Ihor, Mitarbeiter in einem Baumarkt, wurde im Sommer zur Armee eingezogen. Wir erfuhren über Sasha Sidyelnikov davon, dass seine Einheit in Kursk eingesetzt ist und einen Pickup benötigt. Ihor schaffte es nicht zur Übergabe—er war zu dem Zeitpunkt an der Front im Einsatz. Der an seiner Stelle anwesende Vertreter, Deckname „Bach“, freute sich ungemein über den beeindruckenden Mitsubishi-Pickup und machte sich nach unserer Unterhaltung direkt wieder auf den Weg in Richtung russische Grenze.
Schon fünf Tage später erhielten wir Rückmeldung von Ihor und seinem Mitstreiter “Bach”: Nachdem ein gepanzertes Fahrzeug im Gefecht beschädigt worden war, riefen “Bach” und Kollegen nach Hilfe, und ein Kamerad konnte mit dem neuen Pickup die Männer der Einheit aus der Falle herausholen und ihre Leben retten. Hierin sieht Pickup4Ukraine den Sinn unseres Einsatzes: den Verteidigern der Ukraine das Mittel in die Hand zu geben, um auf dem Gefechtsfeld zu bestehen. Wir sind zutiefst dankbar, dass unsere Hilfe schon nach so kurzer Zeit Wirkung zeigen konnte, gerade auch unter den fürchterlichen Umständen.
Nach dieser beeindruckenden Begegnung blieb noch ein Termin am Samstag — Abendessen in großem Kreis mit Freunden und Bekannten in Kyiv, u.a. mit Gerts altem Bekannten, Volodymyr Ohryzko, dem ehemaligen Außenminister der Ukraine.
Sonntag und Rückfahrt
Unser zweiter und letzter Tag in Kyiv sollte so vollgepackt sein wie der erste. Nach einem kurzen Luftalarm um 5.00 konnten wir uns dem “Geschäft” des Tages widmen, also der Übergabe eines Nissan Pathfinder SUV an eine Einheit der Grenztruppen. Die Einheit ist bei Vovchansk im Einsatz und hat den Auftrag, feindliche Drohnen, sowohl Aufklärungs- als auch Angriffsdrohnen, mittels schultergestützter Raketen abzuschießen. Diese Einheit vermittelte unser ukrainischer Freund in Walldorf, Roman L., der gemeinsam mit seiner Familie tatkräftig Pickup4Ukraine unterstützt. Unser Kontakt, auch mit dem Decknamen „Darwin“ kommt wie Roman aus Kakhovka, und die zwei kennen sich seit Jahrzehnten. Ihor betonte, die Einheit sei als Drohnenjäger unter ständiger Beobachtung und bevorzuge daher ein eher unauffälliges Auto. Der graue SUV würde also nicht neu lackiert sondern so belassen.
Anschließend konnten wir unseren Freund Serhiy M. treffen, der uns schon lange vor Ort begleitet und berät. Gert und Daniela lernten ihn zum ersten Mal kennen, und Serhiy konnte ihnen aus seinem Leben und aus seinen Erfahrungen an der Front als Begleiter für ausländische Journalisten viele Erlebnisse schildern.
Danach trafen wir uns mit SAP-KollegInnen am Ausstellungsgelände “VDNG”, das zu Sowjetzeiten die Errungenschaften der sozialistischen Volkswirtschaft zur Schau (aber nicht zum Kauf) stellte. Die Führung nterstrich die sowjetische quasi-religiöse Ästhetik, die Erhebung des Sowjetstaates ins Sakrale als Ersatz für die zerstörten Traditionen der Völker.
Anna plante auch unsere letzte Aktivität, einen Besuch in der CourageGarage. CourageGarage ist eine monatliche Benefizveranstaltung mit Ständen von Designern, Künstlern und Handwerkern, die einen Anteil ihres Erlöses zugunsten einer wohltätigen Organisation spenden. An diesem Sonntag stand SuperHumans im Mittelpunkt, eine Organisation, die Prothesen und Rehabilitation für Kriegsversehrte anbietet. Zahlreiche Stationen in der Ausstellung förderten den Austausch zwischen Menschen mit Amputationen und Bürgern. Hier werden die Folgen des Krieges in vollem Ausmaß sichtbar, und die gigantischen sozialen Herausforderungen an die ukrainische Gesellschaft, mit ihnen fertig zu werden. Ebenso sichtbar wird die Kreativität, die Ukrainer den Herausforderungen entgegenstellen.
Für diesen Transport mussten wir viele Aktivitäten in wenig Zeit unterbringen. Jetzt blieb in Kyiv nur noch, rechtzeitig zum Zug nach Polen zu kommen. Wir haben uns mit Proviant eingedeckt, unser Gepäck geholt und uns zum Bahnsteig begeben, wo der Zug eine halbe Stunde vor Abfahrt uns erwartete. Ein Luxus, in aller Ruhe das Gepäck unterzubringen und die Liegen zu beziehen. Wie gewohnt auf die Minute pünktlich fuhr der Nachtzug. Nach vier vollen Tagen und ohne Fliegeralarm schliefen wir bis zum nächsten Morgen durch. Nach den Grenzformalitäten einem kurzen Aufenthalt in Przemyśl fuhren wir mit dem Zug nach Kraków weiter und anschließend zum Flughafen. Pünktlich kamen wir nach Frankfurt, wo Hansi Huber uns abholte und nach Hause brachte. Vielen Dank, Hansi!
Ausblick
Oft fragen uns Menschen, wie die Stimmung gerade in der Ukraine ist und was sich gegenüber dem letzten Besuch verändert habe. Eine wesentliche Veränderung konnten wir nicht feststellen. Wir beobachten die Müdigkeit, auch zunehmendes Unverständnis für diejenigen, die sich nicht mehr für die Landesverteidigung engagieren. Nach wie vor merkt man, dass Ukrainer nicht bereit sind, den Kampf aufzugeben oder gar Gebiete dem Aggressor zu überlassen. Überlegungen, dass man gegen Gebietsabtretungen das Blutvergießen stoppt, trifft man in der Ukraine selten. Vielmehr herrscht die Ansicht, dass ein Waffenstillstand nur eine Atempause sein kann, in der sich Russland erneut aufrüstet und den nächsten Angriff vorbereitet. Daher lässt trotz aller Müdigkeit der Widerstandswille nicht nach.
Der Krieg geht also weiter, und damit ist die Nachfrage für Fahrzeuge, medizinisches Gerät, Chirurgiebedarf ungebrochen. Wir werden wie die Ukrainer selbst weitermachen. Unser nächster Transport ist für Anfang 2025 geplant. Wir haben gerade erst angefangen, wieder Finanzierung für weitere Fahrzeuge zu sammeln.