Das Jahr 2025 stellt aufgrund der politischen und militärischen Lage, insbesondere durch die Politik der gegenwärtigen amerikanischen Administration, die Ukraine unter erheblichen Druck. Der Entzug militärischer Hilfe durch die USA, die radikale Zunahme russischer Angriffe auf zivile Infrastruktur wie Strom und Fernwärme, und das Nervenspiel mit verschiedenen “Friedensplänen” und Gegenplänen belasten die Ukrainer—und ihre Freunde.
Das haben wir auch im Oktober, nach unserer abgeschlossenen Lieferung von elf Fahrzeugen, unserer bisher größten, gespürt. Deshalb haben wir sehr schnell beschlossen, in diesem Jahr eine zusätzliche kleine Lieferung zum Nikolaustag durchzuführen, mehr denn je auch als Zeichen unserer Solidarität, zumal der 6. Dezember auch noch Tag der Streitkräfte der Ukraine ist. Ein Nikolausgeschenk also.
Wegen der begrenzten Vorbereitungszeit hatten wir von vorne herein auch ein begrenztes Ziel: vier Fahrzeuge—aber eigentlich fünf. Dabei fiel die Auswahl diesmal exotisch aus: Erstmalig hatten wir einen Isuzu-Pickup dabei, der dem Verein von einem Unterstützer mit erheblichem Rabatt überlassen wurde. Die zweite Überraschung war der Wunsch nach einem VW Touareg, einem bisher nicht verlangten Modell, von einer Einheit, die wir schon lange begleiten. Die noch größere Überraschung kam von Danyl, der uns durch unseren Partner Lawyers’ Move kannte—seine Einheit kämpft in Pokrovsk, dem Epizentrum der Kämpfe im Donbas. Er schrieb, dass sie besonders große Lasten transportieren müssen, und fragte nach einem großen Pickup, denn sie hätten gute Erfahrungen mit einem amerikanischen Ford F-150 gemacht. Unsere Suche ergab einen Dodge Ram mit einem 4,7-Liter Benzinmotor und mit Automatik—ziemlich das Gegenteil von dem, was sonst angefragt wird. Danyl war sofort einverstanden. Die größte Überraschung überhaupt kam jedoch über Email: Ein Spender, der anonym bleiben möchte, bot uns ein kaum gebrauchtes Quad als Sachspende an. Wir hatten keinerlei Erfahrungen mit Quads und mussten bei unseren Partnern nachfragen, ob jemand Verwendung dafür hätte. Keine 10 Minuten mussten wir auf die Antwort warten: auf jeden Fall. Das war eine außerordentlich großzügige Spende, für die wir uns an dieser Stelle noch einmal bedanken. Unser Konvoi wurde durch einen Hyundai Terracan abgerundet, der nach Umbau als weiteres Evakuierungsfahrzeug für Verwundete (Casevac) dienen wird. Dieser SUV wurde von unserem Partner 1019.ch finanziert—hier auch einen herzlichen Dank an Martin Fussen für die fortgesetzte Zusammenarbeit.
Drei der Fahrzeuge waren mit chirurgischem Bedarf für Krankenhäuser in Mykolaiv und Kharkiv beladen, der von Kati und Dr. Rainer Siebold gesammelt wird. Außerdem half uns Roman mit weiteren Helfern zusammen, das Quad auf die Ladefläche des Dodge Ram zu hieven und dort professionell zu verzurren. Anschließend klärten wir vorab mit der polnischen Zollagentur, wie wir dieses „Fahrzeug auf einem Fahrzeug“ an der Grenze deklarieren müssten.
Wieder startete unsere Kolonne früh morgens und kam nach 15 Stunden abends kurz vor der ukrainischen Grenze an, wo wir die Ausfuhrdokumente bekamen und noch gemeinsam ein Abendessen zu uns nahmen, bevor wir uns ins Bett legten.
Wir freuten uns am nächsten Morgen auf eine schnelle Abfertigung an der Grenze und ein rasches Weiterkommen nach Kyiv, doch der polnische Zoll hatte wieder einmal andere Pläne. Trotz der vorherigen Erkundigungen passte das Gespann Pickup/Quad nicht in den administrativen Ablauf. An unserem Grenzübergang hieß es Autos ohne Fracht oder LKWs mit Fracht. Ein Pickup mit einem Quad darauf (als Fahrzeug deklariert) missachtete diese Ordnung und hätte beinahe darin resultiert, dass zumindest dieses Auto an einen anderen Grenzübergang hätte fahren müssen. Nur das Verhandlungsgeschick und die überragenden Polnischkenntnisse von Andreas P. ermöglichten einen Kompromiss: das hässliche Entlein dürfe ausnahmsweise am selben Grenzübergang als LKW abgefertigt werden—nur schnell auf die Waage, und wir wären fertig. Die anderen drei Fahrzeuge fuhren über die Grenze, während Michael und Stefan F. in Polen verblieben. Aus Minuten wurden Stunden, nachdem festgestellt wurde, dass der “LKW” mit dem Quad das Maximalgewicht leicht überschritten hatte. Erst abends nach insgesamt zwölf Stunden kam das Gespann durch, während die größere Gruppe nach einiger Wartezeit weiter nach Kyiv gefahren war und zwischendurch mit einem widerspenstigen Turbolader am Touareg kämpfte. Diese Hauptgruppe aus drei Fahrzeugen kam ebenfalls deutlich verspätet ca. 22.30 sicher in Kyiv an. Michael und Stefan mussten mit einem Hotel am Stadtrand von Lviv vorliebnehmen: Die 12 Stunden Abfertigung an der Grenze hatten es unmöglich gemacht, an dem Tag weiterzukommen.
In der Nacht zum Samstag gab es in Kyiv Luftalarm, so dass wir direkt im Schutzraum des Hotels übernachteten. Die geplante Stromabschaltung über Nacht – um die durch russische Angriffe beschädigte ukrainische Energieversorgung zu entlasten – war bereits an diesem Abend überall zu sehen: Dunkelheit, Generatoren nur bis 22.00 Uhr nachts und Heizungsausfall.
Am frühen Samstagmorgen war schon unser erster Empfänger vor Ort, um seinen Touareg abzuholen. “Moryak”, Offizier einer Drohneneinheit der Territorialverteidigung, ist ein alter Freund, den wir bereits 2023 kennenlernten. Im Gespräch beschrieb er die schwierige Lage an der Front, den konstanten und zunehmenden Druck der zahlenmäßig überlegenen russischen Kräfte.
Anschließend wurden zwei der Fahrzeuge gemeinsam mit unseren Partnern von Ukraine’s Frontline Hospitals beim Logistikunternehmen Nova Poshta ausgeladen und der chirurgische Bedarf an Krankenhäuser direkt weitergeleitet. Schon am darauffolgenden Montag kamen die Dankbotschaften aus Kharkiv und Mykolaiv. Danach ging es weiter in einen Vorort von Kyiv in die Werkstatt, wo gewöhnliche Fahrzeuge u.a. in Evakuierungsfahrzeuge umgebaut werden.
Parallel fuhren Michael und Stefan von Lviv nach Kyiv und fanden sich um die Mittagszeit auch in der Werkstatt ein. Kurzerhand konnte mit großem Geschick das Quad ohne Rampe und ohne Werkzeug entladen werden—nachdem wir uns wochenlang Gedanken gemacht hatten, wie das funktionieren soll. Wir konnten von O., dem Leiter der Werkstatt, einen Einblick in seine Umbauarbeit bekommen und waren beeindruckt von seiner Hingabe und seinem Können, aus gewöhnlichen Gebrauchtwagen hochspezialisierte Fahrzeuge für den Einsatz unter Frontbedingungen zu schaffen.
Danach ging es zurück zu Nova Poshta, um den Dodge zu entladen und anschließend an Danyl zu übergeben. Danyl ist ein ruhiger Mensch, lange an der Front und dreimal verwundet. Er beschrieb die entsetzlichen Bedingungen, die Gefahren und die Verluste, die seine Einheit erlitt und zeigte sich hocherfreut über den neuen riesenhaften Pickup. Er schrieb am nächsten Tag:
Liebe Freunde, Freiwillige und alle anderen, die uns unterstützen, wir danken Ihnen von Herzen für Ihre Arbeit. Ohne Ihre materielle und moralische Unterstützung wäre es für uns sehr schwierig, da wir alle auf Menschen wie Sie angewiesen sind. Nochmals vielen Dank!
Den Abend verbrachte unsere Gruppe mit unseren Freunden von Lawyers’ Move, die etwas Besonderes für uns vorbereiteten: eine private Vorführung des Films 2000 Meter nach Andriivka von Mstyslav Chernov, dem Regisseur des oscarprämierten Films “20 Tage in Mariupol”. Der Dokumentarfilm zeigt schonungslos aus Sicht der Soldaten ihre Erlebnisse, das Leiden und die Opfer einer Schlacht während der Gegenoffensive 2023. Verstummt und nachdenklich ließ uns diese Erfahrung zurück, sie war eine eindringliche Warnung und Erinnerung, was ukrainische Menschen ertragen müssen und wie prekär unser Frieden und unsere Freiheit sind. Zurück im Hotel erinnerte uns ein weiterer Luftalarm in der Nacht, dass der Krieg nicht weit weg ist. Wir verbrachten wieder einen Großteil der Nacht im Keller, der dankenswerterweise für den Fall gut ausgestattet ist. In unserer Sicherheit hörten wir keine Explosionen.
Kyiv in diesem Dezember war schon verändert: Der Strom ist rationiert, die Versorgung auf täglich sechs Stunden beschränkt. Auf der Straße hört man das Dröhnen unzähliger Generatoren. In unserem Hotel haben wir deshalb den Luxus, von morgens bis abends durchgehend Strom zu haben. Von 22.00 bis 7.00 ist jedoch auch im Hotel dunkel. Die zwei großen Generatoren im Hof sind ausgeschaltet, um Diesel zu sparen, und auch damit die Gäste schlafen können.
Am Sonntag führte Nadia unsere Gruppe auf einem Spaziergang durch Kyiv, um historische und kulturelle Highlights zu sehen und eine “Perepichka”, eine Wurst im Teigmantel, zu probieren. Im Gespräch kamen wir auf den Film zurück, auf die ungeheuren Opfer und auf die eigene Einstellung zum Wehrdienst. Nadia erklärte, sie sehe es als sicher an, dass sie selbst auf kurz oder lang zur Armee gehen würde. Es gehe um das Land, und man dürfe sich der Verpflichtung nicht entziehen.
Nachmittags trafen wir traditionsgemäß unsere SAP-KollegInnen. Wie bei jeder Begegnung in Kyiv hatte Anna Mykulytska eine kulturelle Aktivität vorbereitet, den Besuch der Ausstellung Die Premiere, die nicht stattfindet der Künstlerin Tetyana Ovsiychuk. Die Ausstellung thematisiert die Wiederentdeckung bzw. die Heranführung an ukrainische Traditionen nach der historischen Unterdrückung und dem Vergessen des letzten Jahrhunderts. Sehr beeindruckend vermitteln Kostüme, Installationen und Videos den Eindruck von Lücken in der Erinnerung und in der wahrgenommenen Geschichte, dort, wo historische Ereignisse bewusst verdrängt wurden, wo Vorfahren dem Terror zum Opfer fielen und Traditionen nicht weitergeben können. All dies brachte uns die Verluste, die Timothy Snyder in “Bloodlands” beschreibt, auf eine eindrückliche Weise, ohne viele Worte, näher. Zugleich kam aber auch die Sehnsucht nach dem Leben in der eigenen Identität zum Ausdruck und die Hoffnung und Unbeugsamkeit inmitten von Vernichtung.
Die Anfänge dieser Identität konnten wir dann mit einer Führung im “Goldenen Tor” von Kyiv sehen und anfassen. Dieses mittelalterliche Tor, eines von drei der damaligen Stadt, stammt aus dem 11. Jahrhundert und ist heute als Ruine, überbaut mit einer “Schutzhülle” in Form einer sowjetischen Rekonstruktion noch vorhanden. Die über tausendjährige Geschichte mit der Resonanz bis zum heutigen Tag war buchstäblich mit Händen zu spüren.
Nach einem Abschiedsessen brachte uns unser SAP-Kollege Yuriy zum Bahnhof, wo wir den Nachtzug nach Polen bestiegen. Der Zug fuhr wie immer pünktlich ab, erfuhr jedoch eine erhebliche Verspätung, weil der Bahnhof Fastiv zwei Tage vorher durch russische Bomben zerstört wurde. Die Umleitung kostete uns auf dem Weg zur polnischen Grenze drei Stunden. Die ukrainische Eisenbahn machte eine Stunde auf der verbleibenden Strecke gut, so dass wir es gerade noch den Anschlusszug schafften und dann rechtzeitig den Flughafen in Krakau erreichten.
Unsere ukrainischen Freunde betonen immer wieder, wie wichtig es für sie ist, dass wir im Ausland sie nicht vergessen, dass wir immer wieder kommen, die dringend nötigen Fahrzeuge übergeben, und nicht zuletzt schlicht durch unsere Anwesenheit vor Ort Solidarität zeigen. Diese Wirkung hatten wir vor drei Jahren sicherlich nicht im Sinn, aber je länger der Krieg andauert, desto wichtiger ist der Beistand der ausländischen Freunde.
Pickup4Ukraine nahm vor drei Jahren die Arbeit auf. Wir hatten zunächst den Kauf eines Pickups als Projekt im Sinn und wären nicht im Traum darauf gekommen, dass sich dieses Vorhaben zu einem jahrelangen Job wird. Aus einem Sprint ist notwendigerweise ein Marathon geworden. Für die Ukrainer aber auch für Europa ist die russische Aggression eben auch ein Marathon geworden. Wir sind entschlossen, dieser Herausforderung gerecht zu werden und nicht aufzugeben.
Unsere Lieferungen kommen durch die Arbeit vieler Personen zustande, und wir bedanken uns an dieser Stelle insbesondere bei Roman, der uns mit seiner technischen Expertise und seinem unermüdlichen Einsatz hilft, Autos auszuwählen, zu besichtigen, den technischen Zustand einzuschätzen, sie abzuholen und notwendige Reparaturen durchzuführen. Mit seiner Hilfe können wir günstiger einkaufen und sicherer fahren. Kati und Dr. Rainer Siebold danken wir für die lange, und wertvolle Unterstützung mit medizinischem Bedarf. Die Fahrerinnen und Fahrer, mit denen wir gemeinsam die Fahrzeuge in die Ukraine bringen, tragen für die Fahrt die Treibstoff-, Übernachtungs- und Verpflegungskosten selbst, damit wir die Spendengelder vollständig für die Autos und sonstige Hilfsgüter verwenden können. Das sind erhebliche Kosten, und wir danken an dieser Stelle auch für diese besondere Hilfsbereitschaft. Autos, auch alte Gebrauchtautos, kosten viel Geld. Wir danken allen, die mit ihren finanziellen Beiträgen unsere Tätigkeit möglich machen. Nach drei Jahren können wir noch immer liefern—und wir laufen den Marathon weiter.


























