Unser 16. Transport – Juli 2025


Unser Konvoi auf der Straße

Vielleicht müssen wir diesen Bericht anders anfangen als die bisherigen. Für unseren April-Transport hatten wir den Spiegel Bestseller-Autor Stefan Orth gewinnen können, der anschließend über seine Erfahrungen (ohne Couch-Surfing, aber dafür mit Pickup-Fahren) auf Twitter / X einen Post veröffentlichte.

Diese Veröffentlichung erreichte eine Schweizer Hilfsorganisation, für die sich dann Martin Fussen an uns wandte. Er bat um Unterstützung bei der Beschaffung von Fahrzeugen, die für Evakuierungszwecke in der Ukraine benötigt werden. Wir stellten den Kontakt zwischen der Schweizer Organisation 1019.ch, unserer Partnerorganisation Lawyers’ Move in Kyiv und den Armee-Einheiten her, die dann die Details klären konnten. Auf diese Weise konnten wir mit Mitteln aus der Schweiz für diesen 16. Transport vier Fahrzeuge finanzieren. Durch die Hilfe von unseren Freunden konnten wir außerdem unser Suchgebiet erweitern: Oliver aus dem Rhein-Main Gebiet kaufte im Auftrag des Vereins einen Mitsubishi L200 Pickup, Andreas aus dem Rheinland war wieder an Bord und konnte einen Mitsubishi Pajero beschaffen. Heinz aus Bad Rappenau organisierte den Kauf eines VW T5. Zwei weitere VW T5, ein VW T4, ein Mercedes Sprinter für ein Waisenhaus in Kharkiv und ein kleiner Allrad-Subaru kamen dazu. Damit war unser Konvoi aus 8 Fahrzeugen komplett.

Auf der medizinischen Seite erhielten wir diesmal wieder viel Verbrauchsmaterial aus der Chirurgie hier im Rhein-Neckar-Kreis, einen Sterilisator, chirurgische Instrumente und viel Verbrauchsmaterial aus Heilbronn, sowie einen “Zeiss IOL Master”, ein Gerät zur Hornhautvermessung, gespendet von Dr. Schork in Schwaigern.

Wir danken an dieser Stelle den ÄrztInnen, den Kliniken und den Krankenhäusern, die wertvolles Material für die Krankenhäuser in der Ukraine spendeten!

Wir bedanken uns insbesondere auch bei Roman und Pavlo, zwei neuen Freunden von Pickup4Ukraine, Automechanikern, und wiederum ihren Freunden und Unterstützern, für den Werkstatt-Check und die Reparatur einiger Fahrzeuge. So konnten wir diesmal gut gerüstet starten!

Mittwoch, 09. Juli 2025

Da der Sprinter wegen der Anzahl der Sitze geschwindigkeitsreduziert war, und auch der VW T4 Transporter mit seinen 29 Jahren seit Erstzulassung etwas weniger leistungsstark waren als die übrigen Fahrzeuge, bildeten wir für die erste Strecke zu polnisch-ukrainischen Grenze zwei Gruppen, von denen die erste mit den langsameren Fahrzeugen schon am Mittwoch startete und die Distanz in zwei kürzeren Tagesetappen bewältigte. Die Kürze der Strecke erlaubte selbst den langsamen Fahrzeugen kurz nach 13.00 in Görlitz anzukommen, wo wir Charlotte und Agnes am Bahnhof einsammelten. Sie waren per Bahn aus Berlin angereist, um an ihrer ersten Fahrt in die Ukraine teilzunehmen.

Nach einem gemütlichen Spaziergang durch die Görlitzer Altstadt und einem Eis auf der polnischen Seite der Neiße ging es mit den Fahrzeugen wieder zurück zur Autobahn, um als „Versuchskaninchen“ die neu eingeführten polnischen Grenzkontrollen auszuprobieren. Nachdem die polnischen Grenzer uns durchwinkten, konnte unsere Gruppe das Hotel für die Nacht nahe Zgorzelec aufsuchen und einen entschleunigten Tag abschließen.

Donnerstag, 10. Juli 2025

Der Rest der Gruppe brach – der Tradition folgend – am Donnerstagmorgen in aller Frühe auf, und traf sich um kurz vor 0500 Uhr an der Raststätte. Wir kamen gut voran und waren am frühen Mittag schon hinter der deutsch-polnischen Grenze, wo wir auch Andreas trafen, der im Rheinland gestartet war. Die Grenzkontrollen auf dem Weg nach Polen waren wenig aufwändig, und wir kamen abends in Radymno an. Dort trafen wir auf die Fahrer der ersten Gruppe – und unser großes Gruppenfoto – eigentlich ein Filmchen – entstand.

Die Mittwochsfahrer hatten die Exportpapiere für ihre Fahrzeuge schon erhalten, für die zweite Gruppe war der Prozess etwas aufwändiger. Mitten in der Nacht wurde Michael auf dem Handy angerufen, und wir wurden gebeten, für ein Fahrzeug doch noch den Schlüssel an der Zollagentur zu hinterlegen, “damit der Zöllner bei Bedarf die VIN prüfen kann”.

Freitag, 11. Juli 2025

Wir starteten nach einem guten Frühstück zur Grenze, und nach kurzer Wartezeit konnten die ersten drei, dann sechs Fahrzeuge in den polnischen Teil der Grenzanlagen einfahren.

Wir waren schon guter Hoffnung auf eine schnelle Abfertigung, als unerwartet Hindernisse auftraten. Anders als bei allen bisherigen 15 Transporten wollte nun der polnische Zöllner auch eine Deklaration für unsere humanitären Güter. Ohne Deklaration würde er kein Fahrzeug abfertigen. Wir müssten alle umkehren und “die notwendigen Papiere” beschaffen. Die Erklärung, das sei bisher nie notwendig gewesen und es handle sich ausschließlich um Krankenhausmaterial, beschwichtigte ihn nicht. Schließlich konnte Andreas mit ihm und seinem Vorgesetzetn nach längeren Verhandlungen auf Polnisch einen Kompromiss erreichen, bei dem nur ein Fahrzeug zur Umkehr gezwungen wurde, und der Rest des Konvois weiterfahren durfte. Andreas und Sonja fuhren nach Polen zurück und entledigten sich ihrer Ladung, um dann später an der Grenze unproblematisch abgefertigt zu werden. Wir anderen konnten auf die ukrainische Seite weiterfahren, dort lief alles schematisch und schnell, und wir machten nach der Grenze einen kurzen Stopp zum Tanken und Hotdog-Essen, bevor wir in Richtung Kyiv aufbrachen.

Heinz fuhr den Sprinter eigenständig nach L’viv und übergab ihn dort – auch im Namen von 1019.ch und Martin Fussen – dem Vertreter von Vysochynivske Dzherelo, einer Hilfsorganisation für Binnenflüchtlinge in Kharkiv, bevor er selbst schon die Rückreise antrat.

Sie bedankten sich direkt mit zwei fröhlichen Videos.

Wir hatten mit Andreas und Sonja vereinbart, dass sie – weil sie einen gut motorisierten Pajero fuhren – schlicht nach und nach unterwegs nach Kyiv aufholen sollten. Wir planten, dann hinter Rivne an einer Raststätte kurz auf sie zu warten. Aber es kam anders.

Andreas’ Fahrzeug blieb liegen, wurde in eine Tankstelle abgeschleppt und dort zumindest wieder in den Stand versetzt, ein paar Kilometer in die nächste Siedlung zu fahren, in der sich eine Werkstatt befand. Dort wurde festgestellt, dass sich eine Schraube an der Lichtmaschine gelöst hatte, so dass Kontakte unterbrochen waren. Diese Schraube wurde nach einigem Suchen gefunden und wieder befestigt. Das kostete allerdings Zeit, so dass Andreas und Sonja an dem Abend nur bis Rivne weiterfuhren.

Wir anderen kamen gegen 20:00 Uhr in die Region Kyiv, und als wir die Stadtgrenze erreichten, setzte Luftalarm ein. Wir sahen auf Brücken und anderen übersichtlichen Stellen Team von Soldaten und Pickups mit aufmontierten Maschinengewehren stehen. Sie dienen der Luftabwehr. Sie zielen auf die Drohnen und versuchen sie zu zerstören und/oder zum Absturz außerhalb der Wohngebiete zu bringen. Im Juni allein sind durch Luftangriffe auf dem Gebiet der Ukraine über 230 Zivilisten getötet worden und über 1340 weitere verletzt worden. Die Taktik des russischen Aggressors hat sich geändert. Es fliegen pro Nacht hunderte Drohnen ins Land, finden sich zu Gruppen zusammen und greifen gezielt einzelne Städte an. Dies überwältigt mitunter die Luftabwehr der Ukrainer. Oft werden danach noch Raketen oder Marschflugkörper hinterhergeschickt, um maximalen Schaden anzurichten. Die Sprengstoffmenge der einzelnen Drohnen ist erhöht worden, und manchmal werden kleine Metallteile beigefügt. Die Drohnen fliegen auf höheren Flugbahnen und zudem mit höherer Geschwindigkeit. Das alles hat das Risiko signifikant erhöht, so dass wir beschlossen, unsere Unterkunft in Kyiv zu wechseln und ein Hotel im niedrig gelegenen Distrikt Podil zu wählen, das über einen eigenen unterirdischen Schutzraum mit Feldbetten verfügt.

Bei Luftalarm wird oft das GPS durch die Ukrainer gestört, um die Drohnen zu behindern, die mit GPS navigieren. Wir schafften es dennoch, den Konvoi ohne Abwege zum Ziel zu bringen. Altmodisch, mit statischer Landkarte auf dem Handy und Orientierung an Landmarken und Kreuzungen.

Der Luftalarm war kurz darauf vorüber, und am Hub trafen wir auf Ruslan von unserer kyiver Partnerorganisation “Lawyers’ Move”, der uns mit Softdrinks und Pizza empfing. Wir hatten ein surreales Pizza-Picknick im Hof, unter dem Kyiver Abendhimmel.

Danach konnten wir zu Fuß zum Hotel in Podil laufen. Wir hatten kaum unsere Zimmer bezogen, als es wieder Alarm gab. Wir gingen geschlossen in den Keller und verteilten uns auf die Feldbetten. Ein Bierchen zum Absacken. Während wir den Alarm im Schutzraum verschliefen, wurden Wohnhäuser in anderen Stadtteilen von Kyiv über einen Zeitraum von fünfeinhalb Stunden von Drohnen, Raketen und Bruchstücken getroffen.

Uns zeigte später auf der Rückfahrt nach Polen eine Mitreisende aus Kyiv Aufnahmen aus dieser Nacht, die sie in einem der kyiver Wohnviertel nicht in der Tiefgarage, sondern im Flur verbracht hatte.

Und dann liest man nach der Rückkehr nach Deutschland im Netz eben auch die russische Sicht auf den Zweck dieser nächtlichen Terrorangriffe (hier auch gerne im Original nachzulesen): Die Schlagzeile in Ria Nowosti, der russischen Nachrichtenagentur bedeutet übersetzt:

“Es gibt keine Alternative: Niemand darf in der Ukraine am Leben gelassen werden.”

Screenshot der russischen Überschrift in Ria Novosti aus einem Post von Anna Sankina in LinkedIn Anfang August.

Samstag, 12. Juli 2025

Heute früh konnten wir gemeinsam frühstücken, während parallel Ruslan und Nadia zur Auslieferung eines zum Evakuierungsfahrzeug umgebauten VW-Transporters aus unserem 15. Transport in den Donbas aufbrachen.

Wir dagegen trafen uns mit Mariia am Hub, entluden die Fahrzeuge, ließen Mariia den Inhalt beurteilen, und packten alles, was an die verschiedenen Krankenhäuser verschickt werden sollte, wieder in drei Fahrzeuge, die danach zu Nova Poshta aufbrachen. Ein Teil von uns fuhr mit zu Nova Poshta und half beim Entladen. Die anderen konnten in der Zeit in einem kleinen Café sitzen. Wir kamen mit einem jungen Ukrainer ins Gespräch, der erzählte, dass er in Kalifornien studiert und gearbeitet hatte, aber bei Kriegsausbruch zurück zu seiner Familie nach Kyiv ging, um in der Ukraine zu helfen.

Kurz vor Mittag konnten wir unser erstes Fahrzeug übergeben: Eine Einheit, die uns das Lehrer-Ehepaar Volodymyr und Olena ans Herz gelegt hatte, hatte sich speziell einen Subaru mit Allrad-Antrieb gewünscht, und wir konnten ihnen das Fahrzeug im Osten Kyivs übergeben. Hier stießen auch Andreas und Sonja wieder zu uns.

Danach ging es wieder nach Podil, wo wir eine weitere Übergabe hatten, diesmal an eine Einheit eines ukrainischen Nachrichtendienstes. Die Einheit bekam bereits im Dezember 2023 einen Geländewagen von unserem Verein. Während die Vertreter über den neuen Zugang erfreut waren, konnten sie aus Sicherheitsgründen nichts über die beabsichtigte Nutzung erzählen. Geheim.

Den Rest des Nachmittags nutzten wir, um den ErstbesucherInnen etwas von Kyiv zu zeigen und das gute Wetter zu genießen.

Am frühen Abend trafen wir Prof. Ihor Zhaloba, den wir letztes Jahr durch Malte kennenlernten.

Ihor tauschte sich mit uns aus und teilte seine Ansichten zu aktuellen Fragen der militärischen Situation, Politik und der Zivilgesellschaft.

Charlotte, Agnes und Dani trafen sich am Abend mit Boghdan. Seine Mutter und seine kleine Schwester sind im März 2022 nach Deutschland geflohen und sind der Familie von Charlotte, Dave und Dani sehr ans Herz gewachsen. Wegen Luftalarm trafen wir uns nicht wie geplant in einem Restaurant, sondern erstmal in der U-Bahn. Danach führte Boghdan uns durch “seine Stadt”, mit buntem Nachtleben, schicken Restaurants und Straßenmusik… das Leben geht weiter.

Am Abend brachen Michael und Annette mit dem Nachtzug auf nach Mykolaiv, um dort mit Mariia Krankenhäuser zu besuchen und mit Ärzten zu sprechen, denen wir mit Spenden der Czuzak Foundation aus den USA in der Ukraine Geräte für Neuro- und Augenchirurgie beschafft hatten. Hierzu berichten wir separat.

Sonntag, 13. Juli 2025

Über Nacht waren Nadia und Ruslan nach Kyiv zurückgekehrt.

Nach einem Frühstück mit Ruslan brachten Agnes, Charlotte, Dave und Dani zusammen mit Ruslan das erste neu beschaffte Fahrzeug zur Werkstatt, wo sein Umbau in einen Rettungswagen in Kürze beginnen würde. Da Agnes und Charlotte zum ersten Mal dabei waren und mit ihren 24 Jahren die jüngsten unserer Gruppe sind, nahm sich einer der Automechaniker Zeit zu erklären, was beim Umbau der Fahrzeuge wichtig ist. Zum Beispiel, dass sie die Glasfenster durch Aluplatten ersetzen, um Patient und Sanitäter vor Glassplittern durch Druckwellen von Explosionen und Angriffen zu schützen. Sie zeigten uns einen „Jammer“, der Funkfrequenzen stört und damit Drohnen abwehrt. Er war auf ein bereits fertiggestelltes Evakuierungsfahrzeug montiert hatten. Dieser kann gegen die neuartigen, durch Glasfaserkabel gelenkten Drohnen allerdings nicht wirken. Die unfassbare Leistung der Rettungskräfte an der Front, die nicht nur Menschen mit schwersten Verletzungen evakuieren und versorgen, sondern dabei auch ihr eigenes Leben einem sehr hohen Risiko aussetzen, wird in dieser Werkstatt greifbarer. Genauso das Engagement vieler Menschen, die die Rettungskräfte logistisch unterstützen. So erzählte uns der Automechaniker, dass er einen signifikanten Teil seiner Arbeit unentgeltlich macht, dass Anteile der Kosten für die Umbauten aus eigenen Taschen und durch private Spenden von Familie und Freunden der Einsatzkräfte getragen werden, und dass sich seine Partnerin nach einer Zeit sehnt, in der er wieder mehr Zeit für seine Familie haben wird.

Die anderen nutzten das Sommerwetter und gingen über eine lange Fußgängerbrücke auf die Dnipro-Insel, um sich dort auf dem Kiesstrand mit weiteren Erholungssuchenden aus Kyiv zu entspannen.

Der größte Teil der Mitfahrenden nahm am Sonntagabend den Nachtzug zurück nach Polen. Er fuhr trotz Luftalarm pünktlich los. Malte und Nils blieben bis Montag. Sonntagabend kehrten Michael und Annette mit Mariia im Auto aus Mykolaiv nach Kyiv zurück.

Montag, 14. Juli 2025 / Dienstag 15. Juli 2025

Nach einer Nacht in Kyiv ohne Luftalarm konnten Malte, Nils, Michael und Annette morgens mit Ruslan frühstücken. Anschließend trafen wir uns mit Mariia am Hub um die Dokumentation für die Geräte zu vervollständigen, die wir für die Krankenhäuser in Mykolaiv beschafft hatten.

Später kam Nadia zum Hub, und wir konnten die Fahrzeugdokumentation mit ihr durchgehen. Sie übergab uns auch den besonderen Dank der 14. Unabhängigen Mechanisierten Brigade „Roman Velyky“, der wir bei einer vorigen Fahrt ein Fahrzeug übergeben hatten.

Eine letzte Übergabe hatten wir am Montagvormittag. Der L200 wurde den sehr erfreuten Empfängern der 110. Brigade überreicht.

An diesem Montag erhielten wir auch von den Empfängern des Sprinters kurze Videos mit großem Dank für das Fahrzeug, das ihnen gute Dienste beim Transport von Personen und Lebensmittel Einkäufen leistet!

Am Nachmittag trafen wir uns mit SAP Kollegen zu einem Spaziergang durch Kyiv, auf der Suche nach roten Skulpturen, die der französische Künstler James Colomina an verschiedenen Stellen angebracht hat.

Nach dem gemeinsamen Abendessen konnten wir den Nachtzug zurück nach Polen besteigen. Während wir schliefen, kam die Gruppe derjenigen, die schon am Sonntag den Rückweg angetreten hatten, bereits zu Hause an. Wir waren nach 27h Tür zu Tür dann am Dienstag spät abends zu Hause – danke an dieser Stelle an Hansi für’s Abholen in Frankfurt!

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