Einführung
Am 27.11. erreichte uns morgens die Anfrage unserer Partnerorganisation in Kyiv, ob wir ihnen kurzfristig einen VW T5 Transporter mit Allradantrieb noch im Dezember beschaffen könnten. Sie würden sich an der Finanzierung beteiligen, da sie ihrerseits dabei seien, einen Sponsor für regelmäßige Umbauten in Evakuierungsfahrzeuge zu gewinnen. Dies sei sozusagen das „Pilotprojekt“. Wir hatten eigentlich den nächsten Transport erst für Ende Januar 2025 geplant und dazu erste Fahrer gewinnen können. Wir hatten gerade begonnen, intensiv nach geeigneten Fahrzeugen zu suchen. Die als Empfänger geplante Einheit stand bereits auf unserer „Warteliste“.
Also: gesagt – getan. Noch bevor wir das Fahrzeug selbst hatten, konnte uns unsere liebe Kollegin Elena in Kyiv die Fahrkarten für die Zugrückfahrt beschaffen um sicherzustellen, dass wir in einem Nachtzug noch Platz bekommen. Der Zeitpunkt, mitten im Jahresendgeschäft, war sicher nicht optimal, aber wir planten einen „Wochenend-Transport“ von Freitag bis Montag.
Das Auto und die Vorbereitung
Am Freitag derselben Woche fuhren Michael und Dave vormittags zum Check eines vielversprechenden T5 Transporters, der dann aber entgegen der Anzeige doch nur Zweiradantrieb hatte. Annette konnte parallel nach weiteren T5 Angeboten schauen, so dass Michael und Dave am Nachmittag dann den T5 besichtigen und probefahren konnten, den wir dann letztlich gekauft haben. Die Hälfte des Kaufpreises übernahm „Lawyers Move“. Er war gut motorisiert, hatte allerdings Sommerreifen, drei volle Sitzreihen und sehr viele Glasfenster – nicht unbedingt das, was jetzt für ein „Casevac“ nötig wäre. Aber es sollte sich später als nützlich herausstellen.
Sasha, der Jurist, der derzeit mit seinem Team die Besetzung des Verfassungsgerichts europarechtskonform organisisiert, hatte uns im Vorfeld noch einen Wunsch von der Sanitäterin Olena übermittelt. Sie brauchte eine spezielle Infusionslösung, die hilft, Verwundete mit hohem Blutverlust zu stabilisieren. Kati konnte sie über die Stadtapotheke in Walldorf beschaffen. Vielen Dank!
Ab dann ging alles sehr schnell: Michael übernahm die weiteren Buchungen für die Fahrt, Annette wollte gerne der „Sunflower Coalition“, einer anderen Hilfsorganisation, einen Gefallen tun und holte daher am Sonntag noch 14 Kartons aus Frankfurt, mit warmer Kleidung und Powerbanks, um sie für andere Empfänger im T5 mit nach Kyiv zu nehmen. Als Michael den Radwechsel auf die mitgelieferten Winterreifen organisierte, gab ihm die Werkstatt einen Rabatt für die Sommerreifen, die jetzt ohnehin nicht gebraucht werden. Am Mittwoch konnte Kati die Kartons mit der Infusionslösung von der Apotheke abholen und mit Annette ins Auto laden. Lawyers Move erstellte uns das Zolldokument für das Fahrzeug und die Hilfsorganisation „Zminiy Island“ erstellte uns das Zolldokument für die Kartons. Zur Sicherheit checkte Annette nochmal den Inhalt der Kartons im Detail und Nadia von Lawyers Move bestätigte die Korrektheit des Zolldokuments für die Fracht.
Freitag, 09. Dezember
Für diese dreizehnte Lieferung hatten wir – wie geschrieben – noch weniger Zeit eingeplant als für die zwölfte. In vier Tagen wollten wir nach Kyiv und zurück. Wir starteten bei Annette um 04:30, beluden das Fahrzeug und machten uns auf den Weg nach Osten. Die Fahrt bis zur deutsch-polnischen Grenze war ereignislos und schnell. In Rekordzeit waren wir um 10:30 an unserer Raststätte direkt hinter der deutsch-polnischen Grenze, holten uns Sandwiches und stiegen wieder ins Auto. In Polen hatten wir dann jedoch lange Staus, die die Weiterfahrt um insgesamt zweieinhalb Stunden verzögerten, so dass wir doch erst wieder abends um 19:00 Uhr in Radymno bei der Zollagentur ankamen. Die zwischendurch diskutierte kühne Idee, am selben Abend noch nach Lviv weiterzufahren, war damit vom Tisch. Beim Abendessen trafen wir noch weitere „Volunteers“ aus Deutschland, aus zwei verschiedenen Organisationen. Mit der einen Gruppe – aus St.Augustin – kamen wir ins Gespräch. Sie haben einen Fokus auf humanitärer Hilfe und waren dabei, u.a. einen Nahverkehrsbus und einen LKW mit gespendeter Kleidung und Waisenhausgeschenken in die Ukraine zu bringen. Unsere EU-Ausfuhrbescheinigung war wie immer schnell erstellt, und nach einem kurzen Abendessen, gab es eine frühe Nachtruhe – um direkt am nächsten Tag wieder um 04:30 Uhr aufzubrechen.
Samstag, 10. Dezember
Wie bei der zwölften Fahrt war am zweiten Tag das Ziel wieder direkt Kyiv. Die Zollabfertigung, komplett im Dunklen, war von den einzelnen Ablaufschritten her wieder ein bisschen anders als sonst, aber letztlich reibungslos. Die Weiterfahrt nach Kyiv ebenfalls, kein Problemwetter, keine rasanten Fahrer, sondern zügiges Durchkommen, ohne viel Verkehr. Fast entspannt.
Wir waren um 14:30 Uhr in Kyiv, unerwartet früh – aber letztlich doch nach rund zehn Stunden Fahrt und Grenzüberquerungszeit.
Am „Hub“, dem Sitz von Lawyers Move, wurden wir von unseren Freunden Ruslan und Sasha begrüßt, außerdem kam der Volunteer „Monte“, um die Kartons entgegenzunehmen und über Nova Poshta in den Donbas zu schicken. Wir übergaben das Fahrzeug an Ruslan, die Infusionslösung an Sasha und hatten dann noch Zeit, uns mit Sasha einen Moment in ein „Lesecafé“ zu setzen. Stromausfall, und kein Generator. Elektrische Kerzen – es wäre fast ein bisschen romantisch gewesen. Sasha ist verheiratet, hat einen kleinen Sohn, Ostap, und ist derzeit aufgrund seiner Arbeit als Verfassungsjurist von der Mobilmachung ausgenommen. Er ist nicht sicher, wie lange dieser Schutz noch bestehen wird. Auf die Frage, wie er mit dieser Situation umgeht, antwortete er lakonisch, es werde so kommen, wie es kommen wird, und er werde dann eben an die Front gehen. Überhaupt beeindruckt uns immer wieder, wie die Menschen mit der derzeitigen Situation umgehen. Sasha erzählte, sie wohnen in einem der oberen Stockwerke eines Hochhauses, und wenn nachts ein kritischer Luftalarm kommt, steigt er mit Ostap eben die zehn Stockwerke nach unten in den Keller und nach der Entwarnung wieder nach oben. In einem Alter, in dem hier die Kinder die Wörter für Schnuller und Schlafhase lernen, ahmt Ostap das Geräusch vorbeifliegender Raketen und Luftabwehr nach.
Abends hatten uns Ruslan und Nadia auf eine Pizza bei Ruslan eingeladen. Auch dort gab es zunächst nur begrenzt Licht, bis irgendwann am Abend der Strom wieder eingeschaltet wurde. Ruslan erzählte, dass er die „Luxusausstattung“ des VW T5 durchaus „verwenden könne“. Er erhält von einem anderen Fahrzeug-Umbauer im Austausch gegen die Sitze, die Glastür und die Heckklappe die entsprechenden fensterlosen Elemente und einen finanziellen Ausgleich.
Die Ukraine ist in diesen Wochen massiven russischen Angriffen mit Drohnen und Raketen, die sich gezielt gegen die Energieversorgung richten. Kraftwerke werden zerstört, und die Stromversorgung wird in allen Stadtteilen Kyivs immer wieder geplant unterbrochen, um das System zu entlasten. Es funktioniert, und die Menschen – so auch Sasha – gehen diesem Winter deutlich gelassener entgegen. Sorgenvolle Äußerungen über die der Ukraine bevorstehenden kalten und dunklen Monate hört man – anders als in Deutschland – in der Ukraine selbst nicht. Die Menschen erklären, man habe ja in den vergangenen Wintern Erfahrungen gesammelt und sei jetzt viel besser vorbereitet. Das ukrainische Wort „незламний“ (unzerstörbar) beschreibt diese Mentalität viel greifbarer und treffender als die abgehobene Bezeichnung als „resilient“.
In der Nacht kam kurz vor Mitternacht – natürlich – ein Luftalarm, der aber „nur“ erforderlich machte, sich in den Flur zu begeben, um zwei Wände zwischen sich selbst und die Außenwelt zu bringen.
Sonntag, 11. Dezember
Sonntag Morgen trafen wir uns mit Ruslan und Nadia zum Frühstück und machten dann einen ausgedehnten Spaziergang mit Ruslan durch Kyiv. Auf dem Sophienplatz steht ein hoher, geschmückter Weihnachtsbaum, vor dem die Menschen Fotos von sich selbst, ihren Familien und Freunden machen. Ein Zeichen von Trotz und von „Sich-nicht-unterkriegen-lassen“.
Am frühen Nachmittag hatte Anna, die Direktorin von SAP Ukraine , zu einem Treffen in einem Restaurant direkt an der Sophienkathedrale eingeladen. Die SAP Kollegen waren sehr an unserer Sicht auf die politische Situation in Deutschland, mit dem Bruch der Koalition und den anstehenden Neuwahlen interessiert. Die Frage, wer die zukünftige Außenpolitik bestimmt, wird in der Ukraine aufmerksam beobachtet. Die Kollegen wollten auch von uns wissen, wie der Einsatz der Mittelstreckenrakete “Oreshnik” , die Russland auf Dnipro feuerte, eingeschätzt wird. In der deutschen Presse wurde immer wieder betont, sie sei nun wirklich als Drohung ernst zu nehmen, da sie „atomwaffenfähig“ sei. Die Sicht unserer ukrainischen Kollegen war überraschend und ernüchternd: Sie hielten den Angriff für Show, um Europäer einzuschüchtern. Auch bisher schon eingesetzte Raketen könnten mit nuklearen Sprengköpfen versehen werden, und Russland habe diese Rakete, die an sich im Vergleich zu sonstigem Beschuss eher weniger Schaden angerichtet habe, eher deshalb eingesetzt, um gezielt in westlichen Ländern Ängste zu schüren. Es ist schon bezeichnend, wenn sich die Menschen außerhalb der Ukraine mehr fürchten als die Ukrainer selbst.
Abends trafen wir Mariia. Sie hatte uns zu leckerem selbstgekochtem Borschtsch zu sich nach Hause eingeladen. Wir unterhielten uns lange und intensiv über ihre Ausgründung einer auf rein Humanitäres spezialisierten Hilfsorganisation. Wir werden zukünftig mit beiden zusammenarbeiten: Mit Lawyers Move und mit „Ukraine Frontline Hospitals“.
Ruslan brachte uns abends zum Bahnhof. Der Zug fuhr pünktlich um 22:14 Richtung Polen ab.
Montag, 12. Dezember
Wie auch bei bisherigen Fahrten waren die letzte Nacht und der anschließende der letzte Tag des Transports im wesentlichen durch Reise geprägt. Mit dem Nachtzug zur Grenze, Grenzkontrolle, wieder beide Rucksäcke „durchgeflöht“ auf der Suche nach Kriegs-Souvenirs, aber letztlich unspektakulär. Nur Michaels schwere Ratsche für Radmuttern brauchte auf der polnischen Seite etwas Erklärung. Annette hatte sich unterwegs eine fiese Erkältung eingefangen und fühlte sich den ganzen Montag eher im „Stand-By“ Modus. Schlafen, aufwachen, umsteigen, wieder einschlafen.
Mit etwas Verspätung ging unser Flug in Krakau, und Hansi Huber holte uns mitten in der Nacht noch in Frankfurt ab und brachte uns nach Hause. Vielen Dank, Hansi!
Ausblick
Der VW T5 Transporter aus unserer Oktoberfahrt ist jetzt fast fertig umgebaut und wird von Lawyers Move nächstes Wochenende den Empfängern übergeben. Der Umbau des jetzt überbrachten VW T5 hat bereits begonnen.
Wir sammeln jetzt aktiv Spenden, um die Fahrzeuge für den nächsten Transport Ende Januar 2025 zu finanzieren.